Die Uhr der Skythen (German Edition)
jetzt nicht, sagte Dick mit einem Blick auf den Koffer, es sind noch Ferien, da lassen viele ihre Karren polieren, Winterreifen bei dem Schnee und so weiter…
Ich will keinen Urlaub.
Sondern?
Ich kündige.
Du kündigst.
Mit einem verständnislosen Kichern schlug Dick das Auftragsbuch wieder auf, las darin herum, als wäre dort eine Erklärung zu finden, was das Wort kündigen bedeuten könnte, fand dann auch ein paar beweiskräftige Eintragungen, setzte den Zeigefinger drauf und zählte sie Fokko auf wie die Gesetze zum Verbot plötzlicher Kündigungen: Bäcker Böhnes Lieferwagen sofort und dringlichst neu bereifen, des Lehrers Kombi, den alten Käfer und zwei unbekannte Limousinen waschen, föhnen, volltanken…
Er klappte das Buch wieder zu.
Das geht jetzt nicht, Fokko.
Ist schon geschehen. Eben gerade.
Kannst du nicht machen, Fokko, du bist quasi von Anfang an dabei, mein bester Mann…
Dein einziger. Gewesen. Und der will jetzt das restliche Geld.
Welches Geld?
Die Diskussion um seinen Lohn kannte er wie einen hundertfach genossenen Fernsehfilm, Dicks Monologe über schlechte Zeiten, seine eigene genügsame Hilflosigkeit, das war die tief in ihm eingegrabene Liturgie des Bettelns und Bittens um den gerechten Lohn, jetzt aber war ihm das endgültig zuviel, er nahm die Uhr aus seinem Rucksack und klappte sie auf.
Ich tue das nicht gern, entschuldigte er sich beim entgeisterten Tankstellenbesitzer, holte das Stundenbuch aus der Kasse, errechnete seinen restlichen Lohn, quittierte ihn, steckte das Buch zurück und nahm das Geld auf den Cent genau aus der Kasse. Von der Ecke an der Hansastraße, auf der am ersten Werktag des neuen Jahres etliche Dutzend Fahrzeuge standen, warf er noch einen Blick auf die als Hahn stilisierte Zapfpistole, und erst jenseits der Bahn, auf der Brücke bei der Pernickelmühle, schloß er die Uhr und versteckte sie tief in seinem Rucksack.
Sein Zug steht in Rheine auf dem Nachbargleis. Er findet wieder ein Abteil für sich allein, verstaut den Koffer im Gepäcknetz, den Rucksack unter seinem Sitz, schaut zwar aus dem Fenster, aber durch die davonfließenden Winterlandschaften hindurch. Erst als der Zug in Salzbergen die Amsterdamer Strecke verlassen hat, in einigem Abstand dem Lauf der Ems gefolgt ist, die er bei Hanekenfähr überquert, durch die Schatten des Atomkraftwerks in den Bahnhof von Lingen einläuft, erst als sie von dort wieder aufgebrochen sind, die Uhr an einer Kirche zehn zeigt und die Trasse auf den Dortmund-Ems-Kanal getroffen ist, erst als er sich sicher ist, daß er ausschließlich und auf direktem Weg nach Norden unterwegs ist, da spürt er unwiderruflich und dezidiert, er entfernt sich aus dem falschen Leben auf dem Weg in das richtige.
Das Wasser der Hase rauschte schäumend unter ihm durch. Am alten Mühlrad hingen ein paar Eiszapfen, der Verkehr zog an ihm vorbei wie eine Lichterprozession, von einem der Türme schlug eine Stundenglocke, irgendwo krächzte eine Krähe, als er die Zauberuhr in den Rucksack zurückgab und sein Blick beim Aufrichten auf den Müllwagen fiel, der sich durch den Wendeplatz am Ende der Mühlenstraße drehte und ihn mit orange blitzenden Blinklichtern an einen Pappkarton in einem Container erinnerte.
Der Sparenbergsche Nachlaß.
Einerseits war er entschlossen, sich so weit wie möglich vom Einfluß der Uhr zu trennen, andererseits gab es in den hinterlassenen Aufzeichnungen eventuell Erklärungen über Art und Dauer der Prägung auf die Zauberkraft, vielleicht lag in dem Kästchen eine Anleitung unter dem Samt verborgen oder Sparenberg war dem Mysterium auf die Spur gekommen und hatte seine Erkenntnisse im Tagebuch notiert.
Die Blinklichter entfernten sich in die Tiefe der Mühlenstraße, und Fokko beschloß, die städtische Müllabfuhr Schicksal spielen zu lassen, ging den Weg an der Hase, wo bei den Sitzbänken die Zechbrüder ihre Markierungen hinterlassen hatten, über die Holzbrücke in den Conrad-Bäumer-Weg und fand den Container unter der Laterne, wie er ihn verlassen hatte. Er schob den Deckel auf. Der Müll war nicht abgeholt worden, aber der Karton war nicht mehr da. Fokko sah es mit einem Blick, erkannte den Platz, wo er gestanden hatte, eine eckige Vertiefung, in die ein altes Stativ und eine Handvoll grüner Styroporflocken nachgerutscht waren. Vielleicht hatte in der vergangenen Nacht einer der barmherzigen Brüder seinen Rausch im Rettungsboot ausgeschlafen und den Karton mitgenommen, um ein Feuer zu
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