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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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sie sich nicht satt riechen an dem Chlorgeruch des Wassers.
    »Ich bleibe lieber hier und schau dir zu.«
    »Och, warum denn?« Anna zog ihn am Arm. »Komm doch mit! Bitte!«
    »Nein, ich möchte nicht. Nun geh schnell schwimmen, du hast nur ein, zwei Stunden Zeit, dann müssen wir schon zurück!«
    »Was, nur so kurz?«
    »Das war von Anfang an so abgemacht, du musst schließlich noch zum Friseur.«
    Anna maulte noch ein wenig herum, fing sich aber bald wieder und lief ausgelassen davon. Auf dem Weg zum Becken hob sie einen Ball auf, der ihr vor die Füße rollte, und begann mit einer Gruppe kleiner Mädchen Strandball zu spielen. Wie hinreißend sie doch war! Satake lächelte. Eine reizende, unkomplizierte Frau wie sie verwöhnte er gerne, es tat ihm gut, einfach nur in ihrer Nähe zu sein. Sie besänftigte ihn, das war nicht zu bestreiten. Aber selbst Anna würde den Aufruhr nicht niederwerfen können, den seine Vergangenheit, heraufbeschworen durch die plötzliche Sommerhitze, in seinem Herzen ausgelöst hatte. Satake schloss die hinter der Sonnenbrille verborgenen Augen.
    Als er sie nach einer Weile wieder öffnete, war von Anna nichts
mehr zu sehen. Da entdeckte er in dem Gewühl aus lärmenden Kindern und spritzendem Wasser im Fünfzig-Meter-Becken einen weißen Arm, der ihm im großen Bogen zuwinkte. Sobald sie sicher war, dass Satake ihr zusah, schwamm Anna eine Bahn in unbeholfenem Kraulstil. Er hatte ihre linkischen Schwimmkünste eine Weile verfolgt, als er sah, wie ein junger Mann, der sich in der Nähe der Sprungbretter aufgehalten hatte, auf sie zuschwamm und sie ansprach. Satake schloss die Lider.
    Anna kam zu seiner Bank zurück. Überall perlten ihr die Wassertropfen vom Körper. Sie drückte die nassen, schwarzen Haare am Hinterkopf aus und sah sich dabei um. Der junge Mann von vorhin schaute zu ihnen herüber. Er hatte die langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug einen Ohrring.
    »Sieh mal, da beobachtet dich jemand.«
    »Ja. Er hat mich eben schon angesprochen.«
    »Was macht er denn?«
    »Er sagt, er spielt in einer Band oder so«, antwortete Anna, als interessiere sie das nicht besonders, und wandte sich wieder Satake zu, um seine Reaktion abzuwarten. Satake beobachtete, wie die Wassertropfen von ihrer seidigen Haut an Armen und Beinen abperlten. Er saß da und nahm einfach nur Annas Jugend und Schönheit in sich auf.
    »Geh doch mit ihm ein paar Runden schwimmen. Zeit hast du noch.«
    »Wieso?« Anna schaute Satake entgeistert an.
    »Er hat dir doch schöne Augen gemacht, oder?«
    »Ärgert dich das denn überhaupt nicht, O-nii-chan?«
    »Nein, wieso? Solange du zur Arbeit kommst.«
    »Aha.« Es klang, als hätte Anna einen Riegel vor ihr kindlich offenes Herz geschoben. Sie ließ ihr Badetuch zu Boden fallen und lief auf den jungen Mann zu, der am Beckenrand saß und gelangweilt in den Himmel starrte. Er war sichtlich erfreut, als er Anna sah, und drehte sich zu Satake um, wie um sich zu vergewissern, ob das auch alles mit rechten Dingen zuging.
    Auf der Rückfahrt sagte Anna kein Wort.
    »He, Anna«, sprach Satake sie schließlich an, »ich bring dich gleich beim Friseur vorbei, ja?«
    »Ja, aber abholen brauchst du mich nicht.«

    »Wieso?«
    »Ich nehme ein Taxi.«
    »Gut, mach das nur, ich will mich sowieso zu Hause noch duschen, bevor ich im ›Mika‹ vorbeischaue. Wir sehen uns dann heute Abend.«
    Er setzte Anna vor dem Friseurladen ab, den sie immer besuchte, und fuhr auf den Yamate-Ring auf. Die Sonne neigte sich schon Richtung Westen und schien ihm direkt in die Augen. Sofort stürmten jene Erinnerungen mit solcher Macht auf ihn ein, dass er selbst davor zurückschreckte. Noch einmal wurde die bis zur Unerträglichkeit aufgestaute Hitze jenes Zimmers lebendig in ihm, während er auf die Straßen von Shinjuku hinausstarrte, auf denen die Schatten allmählich länger wurden. Und wieder befiel ihn eine rasende, unkontrollierbare Nervosität.
     
    Als er abends im »Mika« vorbeischaute, drehten sich alle Hostessen im selben Moment mit dem gleichen aufgesetzten Lächeln zu ihm um, da sie ihn wohl für einen Gast hielten. Dann erkannten sie ihn, und augenblicklich verwandelten sich ihre Mienen wieder in die üblichen gelangweilten Gesichter.
    »Was ist los? Sauregurkenzeit?«, fragte Satake seinen Manager Chén, während er sich umsah und keinen einzigen Gast entdecken konnte.
    »Sie werden schon noch kommen, es ist noch früh«, antwortete Chén, während er sich hastig

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