Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
zurück. Satake rauchte im Stehen seine Zigarette zu Ende. Sofort kam eines der Mädchen im Bunny-Kostüm und wechselte den Aschenbecher aus. Satake zündete sich eine weitere Zigarette an und aschte in den frischen Aschenbecher. Aus sicherer Entfernung registrierten seine Mitarbeiter ängstlich alle seine Bewegungen und behielten ihn besser im Auge als jeden der Gäste. Er kam sich irgendwie fehl am Platz vor, obwohl ihm der Laden doch gehörte. Dieses Gefühl beschlich ihn zum ersten Mal.
Kunimatsu kam auf ihn zu: »Hätten Sie vielleicht kurz Zeit, Satake-san?«
»Was denn?«
»Könnten Sie einen Moment mit ins Büro kommen?«
Satake folgte dem hoch gewachsenen, mit einem Smoking bekleideten Kunimatsu in das kleine Hinterzimmer, wo ein Schreibtisch und ein Tresor standen und das vorläufig als Büro des Managers diente.
»Das hier hat ein Gast bei uns liegen gelassen. Was sollen wir damit machen?« Kunimatsu nahm ein graues Jackett, das zu einem einfachen Straßenanzug gehörte, aus dem Wandschrank. Auf einem Bügel dahinter hing Satakes eigenes, silbergraues Jackett, das er eben erst ausgezogen hatte.
»Wem kann das gehören?« Satake nahm die Jacke in die Hand. Sommerwolle, aber billiges Zeug, das erkannte man auf den ersten Blick. »Hat denn niemand danach gefragt?«
»Das ist es ja. Sehen Sie, hier.« Kunimatsu deutete auf den Namen, der mit gelbem Faden maschinell auf die Innentasche gestickt war: »Yamamoto«.
»Yamamoto?«
»Erinnern Sie sich denn nicht? Das ist doch der Kerl, den Sie Anfang letzter Woche vor die Tür gesetzt haben.«
»Ach ja, der.« Jetzt fiel es Satake wieder ein: der Mann, der Anna nachgestellt und den er deswegen hinausgeprügelt hatte.
»Er kommt es einfach nicht abholen – was sollen wir jetzt damit machen?«
»Schmeißen Sie es weg.«
»Wirklich? Ob er sich dann nachher nicht beschwert?«
»Der wird sich nicht wieder blicken lassen, und falls doch, sagen Sie einfach, hier hätte man nichts gefunden.«
»Gut, wenn Sie meinen.« Kunimatsu legte den Kopf ein wenig schief, als wäre er nicht ganz einverstanden damit, sagte aber nichts weiter. Dann sprachen sie nur noch kurz über den Umsatz, und Satake verließ das enge Büro wieder. Kunimatsu folgte ihm, wie um seine Laune zu beschwichtigen. Inzwischen waren zwei junge, auffällig gekleidete Frauen aus dem Rotlichtmilieu im »Parco« aufgetaucht. Beim Anblick der künstlichen, offenbar im Sonnenstudio erworbenen Bräune ihrer Haut musste Satake wieder an Anna denken.
»Ich komme gleich wieder, ich schau nur schnell nach Anna.«
Kunimatsu sagte nichts, sondern nickte ihm nur kurz zu, aber Satake war nicht entgangen, wie ein Ausdruck der Erleichterung über sein Gesicht huschte. In solchen Augenblicken beschlich ihn das Gefühl, als wüssten Lì-huá, Chén, die Hostessen aus dem Club und die Mitarbeiter im »Parco« doch über seine Vergangenheit Bescheid und fürchteten sich insgeheim vor ihm.
Als wüssten sie alle Bescheid über den schwarzen Dämon in ihm, den er all die Jahre verzweifelt unter Kontrolle und mit größter Sorgfalt unter Verschluss gehalten hatte. Er war sicher, es würde jeden in Angst und Schrecken versetzen, der die groben Umrisse davon erführe. Aber nur er selbst und die Frau kannten die Wahrheit über das, was damals passiert war. Niemand sonst würde verstehen können, wonach sich Satake wirklich sehnte. Im Alter von sechsundzwanzig Jahren hatte er das erkennen müssen, und deshalb nahm er die Einsamkeit in Kauf.
Annas Wohnung wirkte irgendwie seltsam, anders als sonst. Er drückte auf den Klingelknopf, aber sie machte nicht auf. Als er gerade sein Handy aus der Tasche nehmen wollte, um sie von vor der Tür aus anzurufen, hörte er endlich ihre Stimme aus der Gegensprechanlage.
»… wer ist da bitte?«
»Ich bin’s.«
»… O-nii-chan?«
»Ja. Ist alles in Ordnung mit dir? Mach doch mal auf.«
»Gut.«
Satake hörte, wie sie die Kette löste. Das fand er merkwürdig. Normalerweise legte Anna nie die Kette vor.
»Tut mir Leid, dass ich nicht zur Arbeit kommen kann.«
Anna erschien in der Tür. Sie trug eine kurze Hose und ein T-Shirt, ihr Gesicht war blass. Satake blickte auf den Boden vor der Stufe zum Wohnbereich. Dort stand ein Paar modische Turnschuhe.
»Der Kerl von heute Nachmittag?«
Annas Gesichtsfarbe wurde noch blasser, als sie Satakes Blick folgte. Aber sie machte keinerlei Anstalten zu antworten.
»Ich habe nichts dagegen, dass du dich mit Männern vergnügst.
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