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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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interessiert, wissen Sie, das zieht einfach besser.«
    »Oh. Ja, verstehe.«
    Das war sicher nicht die ganze Wahrheit. Augenblicklich sank Kunikos Stimmung auf den Tiefpunkt, so, als führe sie in rasantem Tempo mit einem Fahrstuhl nach unten. Wenn sie ein hübsches Gesicht und eine gute Figur hätte, würde es sicher keine große Rolle spielen, dass sie ein wenig älter war. Nein, ihr Alter war bestimmt nicht das Problem. Der Komplex, der sich in ihrem Innern eingenistet und tiefe Wurzeln geschlagen hatte, zeigte seine Fratze.
    »Deshalb – es tut mir Leid, dass Sie sich extra herbemüht haben, aber für heute muss ich Sie leider enttäuschen... Was machen Sie denn im Augenblick?«
    »Teilzeitarbeit hier in der Nähe.«
    »Das ist auch sicher besser für Sie. Die Arbeit hier bei uns ist ziemlich hart. Die Gäste erwarten schon etwas, wenn sie in einer Stunde zehn-, zwanzigtausend Yen ausgeben – ohne Gegenleistung
gehen sie nicht nach Hause. Sie verstehen, was ich meine? Und in Ihrem Alter... Sie wollen doch sicher nicht links liegen gelassen werden! Das wäre nicht schön, meinen Sie nicht auch?« Der Mann lachte obszön. »Na, also. Es tut mir wirklich Leid, Sie herbemüht zu haben. Hier, eine kleine Entschädigung für Ihren Fahraufwand.«
    Er drückte ihr einen kleinen, dünnen Umschlag in die Hand. Höchstens tausend Yen, schätzte sie, als der Mann sie zweifelnd fragte: »In Wirklichkeit haben Sie die Dreißig doch längst überschritten, nicht wahr?«
    »Nein, überhaupt nicht!«
    »War auch nur ein Scherz.« Der Mann verbarg seine Missachtung nicht.
    Enttäuscht trat Kuniko aus dem Hintereingang. Wenn sie vorne herum zurückginge, stünden da sicher noch diese Männer, die Gäste anwarben. Ihre Blicke wollte sie nicht ein zweites Mal ertragen müssen, also ging sie lieber die Hintergasse entlang bis zur Ecke, wo ein kleiner Gyūdon-Imbiss 3 war. Von dort aus wollte sie versuchen, zu ihrem Fahrrad zurückzukommen.
    Plötzlich überfiel sie ein Bärenhunger. Sie betrat den Imbiss in der Absicht, das gerade erhaltene Fahrgeld zu verbraten.
    »Einmal Gyūdon, bitte.«
    Nachdem sie bestellt hatte, schaute sie sich um – und blickte hinter sich in einen großen Spiegel. Sie sah ihren dicken, breiten Rücken, ihr blödes, plumpes Gesicht. Ihr wahres Alter von dreiunddreißig Jahren, unverkennbar, für alle sichtbar. Sofort drehte sie sich wieder nach vorne. Auch vor den Kolleginnen in der Fabrik hatte sie sich jünger ausgegeben, als sie war.
    Kuniko seufzte und öffnete den Umschlag. Es waren zweitausend Yen. Schwein gehabt, wenigstens etwas! Sie steckte sich eine Mentholzigarette zwischen die Lippen.
    Es blieb noch etwas Zeit, bis sie sich auf den Weg in die Fabrik machen musste.

3
    Behutsam, um ja kein Geräusch
    zu machen, schloss Yoshië die Haustür auf, und sofort stieg ihr der schwache Geruch von Cresol und Exkrementen in die Nase. Wie oft sie auch lüftete, wie gründlich sie die Tatami mit einem gut ausgewrungenen Lappen abrieb – dieser Geruch ließ sich aus ihrem Haus einfach nicht vertreiben.
    Yoshië drückte die Fingerspitzen auf ihre vor Übermüdung zuckenden Lider. Es würde noch einige Zeit vergehen, bis sie sich endlich ein paar kurze Stunden Schlaf gönnen konnte.
    Aus dem engen, zementierten Eingang trat man über eine Stufe direkt in ein drei Matten kleines Tatami-Zimmer. Es war mit einem niedrigen Esstischchen, einem uralten Geschirrschrank und einem Fernseher so voll gestellt, dass man kaum wusste, wo man die Füße hinsetzen sollte. Hier war das Wohnzimmer von Yoshië und ihrer Tochter Miki, hier aßen sie oder sahen fern.
    Da es ohne eigene Tür unmittelbar am Eingang lag, konnte jeder, der kam, sofort hineinsehen, und im Winter pfiff der Wind kalt durch die Ritzen. Miki beschwerte sich bitterlich darüber, aber in diesem winzigen Haus gab es einfach keine andere Möglichkeit.
    Yoshië stellte die Papiertüte mit dem weißen Kittel und der Arbeitshose, die sie zum Waschen aus der Fabrik mit nach Hause gebracht hatte, in die Ecke und schaute durch die offen stehende Schiebetür in das angrenzende Sechs-Matten-Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, der Raum lag im Dunkeln, trotzdem nahm sie sofort die kleinen Bewegungen in dem Futon wahr, der dort ausgebreitet lag. Ihre Schwiegermutter, die nun schon seit sechs Jahren bettlägerig war, dürfte also bereits wach sein.
    Doch Yoshië sprach sie nicht an, sondern blieb wie gelähmt mitten im Zimmer stehen. In der Fabrik konnte sie sich

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