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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Sechs-Matten-Zimmer. Der strenge Geruch von Kot schlug ihr entgegen. Sie unterdrückte ihren Ekel, zog die Vorhänge auf und öffnete sachte das Fenster, um die stickige, stinkende Luft zu vertreiben.
    Direkt gegenüber, nur einen knappen Meter entfernt, war das Küchenfenster des Nachbarhauses, ebenfalls ein alter, kleiner Holzbau.
Sofort, als habe sie es geahnt, schlug die Nachbarin, eine Hausfrau, die immer früh auf den Beinen war, lautstark ihr Küchenfenster zu, wie um ihrem Unmut Luft zu machen. Wut flammte in Yoshië auf. Doch sie konnte auch verstehen, dass es kaum auszuhalten war, schon am frühen Morgen den Kot eines kranken Menschen riechen zu müssen.
    »Ziehst du mich bitte endlich um!« Die Schwiegermutter, die von all dem nichts mitbekommen hatte, rutschte ungeduldig auf ihrem Futon herum.
    »Lieg still, sonst verrutscht die Windel noch.«
    »Aber es fühlt sich so unangenehm an!«
    »Ich weiß, du hast ja auch hineingemacht.«
    Wenn es doch nur Babywindeln wären, dachte Yoshië sehnsüchtig, während sie die dünne Sommerdecke zurückschlug und der Schwiegermutter das Nachthemd aufmachte. Bei einem Baby hatte sie es nie als ekelhaft empfunden, wenn beim Windelwechseln Kot an ihre Hände oder Urin an ihre Kleidung gekommen war. Warum waren einem dann die Ausscheidungen alter Menschen nur so zuwider?
    Plötzlich musste Yoshië an Yayoi Yamamoto denken.Yayois Kinder waren noch klein. Hatte sie sich nicht vor kurzem erst darüber gefreut, dass ihr Jüngster endlich aus den Windeln war? Yoshië wusste noch genau, wie glücklich man sich dann fühlte.
    Und trotzdem war sie heute so merkwürdig gewesen. Ihr Mann habe sie in den Bauch geschlagen, hatte sie gesagt, aber ob er sie nicht auch mit Worten tief verletzt hatte?
    Eine fleißige Frau zu haben war bequem, aber einem faulen Mann konnte sie auch leicht ein Dorn im Auge sein, davon wusste sie ein Lied zu singen. Yoshië dachte an ihren Mann zurück, der fünf Jahre zuvor an Leberzirrhose gestorben war. Je besser sie ihre Schwiegermutter versorgte, je mehr sie durch Nebenjobs dazuverdiente, je perfekter sie den Haushalt in Schuss hielt, desto missmutiger und unverschämter war ihr Mann geworden.
    Vielleicht gefiel es auch Yayois Ehemann nicht, dass seine Frau so tüchtig war. Wahrscheinlich war er genauso selbstsüchtig, wie ihr eigener Mann es gewesen war. Aus welchen Gründen auch immer war das der Lauf der Welt: Die fleißigsten Frauen gerieten an die egoistischsten Männer. So war das nun einmal, es half alles
nichts, man musste die Zähne zusammenbeißen und das Beste daraus machen. Yoshië hatte sich in den Kopf gesetzt, dass Yayoi ihr in so manchen Punkten ähnelte.
    Mit geübten Handgriffen wechselte sie die Windel. Jetzt musste sie das verschmutzte Tuch in der Toilette entleeren und dann im Bad auswaschen gehen. Natürlich gab es die bequemeren Wegwerfwindeln, aber die konnte sie sich nicht leisten.
    Als sie aus dem Zimmer ging, hörte Yoshië hinter sich die drängende Stimme der Schwiegermutter: »Aber ich bin doch auch so verschwitzt!«
    »Ja, ich komme gleich. Eins nach dem anderen.«
    »Aber du weißt doch, wie unangenehm das ist. Nachher erkälte ich mich noch!«
    »Ja, sofort, wenn ich hiermit fertig bin.«
    »Du machst das mit Absicht so langsam!«
    »Aber nein doch!« Noch während sie das erwiderte, stieg etwas wie Mordlust in Yoshië auf. Sollte sie sich doch erkälten! Sollte sie sich doch auf der Stelle eine Lungenentzündung holen und daran verrecken! Dann wäre sie sie endlich los! Aber wie immer unterdrückte die fleißige Yoshië dieses Gefühl schnell wieder. Undenkbar! Einem Menschen, der von einem abhängig war, den Tod zu wünschen! Dafür konnte einen die Strafe des Himmels treffen.
    In dem Viereinhalb-Matten-Zimmer nebenan klingelte der Wecker. Es war schon kurz vor sieben. Zeit für Miki, aufzustehen. Sie ging auf die Städtische Oberschule.
    »Miki, es ist Zeit!«, rief Yoshië. Die Schiebetür ging auf, und Miki erschien in T-Shirt, Shorts und mit schlecht gelauntem Gesicht.
    »Ja, ja, weiß ich doch!« Angewidert wandte sie sich ab. »Mutter! Wolltest du etwa mit dem da in der Hand in mein Zimmer kommen?! Wie kannst du nur!«
    »Tut mir Leid«, entschuldigte sich Yoshië und verschwand im engen Bad neben der Küche. Trotzdem war sie schockiert über Mikis Rücksichtslosigkeit. Früher war sie doch so ein liebes Kind gewesen und hatte ihr geholfen, wo sie nur konnte. Natürlich verstand Yoshië, dass Miki mittlerweile

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