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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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zusammenreißen und ganz auf die Arbeit konzentrieren, doch sobald sie nach Hause kam, spürte sie genau, dass sie ausgelaugt und kaputt war wie ein löchriger Putzlappen. Wenn sie sich jetzt doch nur ein einziges Stündchen aufs Ohr legen könnte, das wäre so wunderbar! Während sie sich die kräftigen, steifen Schultern massierte, sah sie sich in ihrem vergilbten, heruntergekommenen Zuhause um, in das nicht einmal das Morgenlicht fiel.

    Die Schiebetür zu dem Viereinhalb-Matten-Raum rechts von ihr war fest zugezogen, wie um jeden Zutritt abzuweisen. Das war Mikis Zimmer.
    Solange ihre Tochter noch zur Mittelschule gegangen war, hatte sie mit der Schwiegermutter im Sechs-Matten-Zimmer schlafen müssen, aber jetzt, in dem schwierigen Alter, konnte man ihr das unmöglich weiter zumuten. Also hatte Yoshië ihren eigenen Futon neben den der Schwiegermutter gelegt, aber dort kam sie kaum zur Ruhe und schlief schlecht. Wahrscheinlich war sie einfach schon zu alt. Yoshië ließ sich auf die einzige freie Stelle auf dem Tatami-Boden fallen, die in dem engen Zimmer auszumachen war.
    In der Kanne auf dem Esstischchen waren immer noch die Blätter von dem grünen Tee, den sie selbst gestern Abend vor der Arbeit getrunken hatte. Doch in Anbetracht der Mühe, sie extra ausspülen zu gehen, störte sie das nicht. Wenn es um Arbeit für andere ging, war ihr nichts zu viel, aber für sich selbst war ihr alles egal. Sie goss die Blätter noch einmal mit dem mittlerweile lauwarmen Wasser aus der Thermoskanne neben sich auf, und während sie den dünnen Tee schlürfte, starrte sie eine Weile nur vor sich hin. Es gab etwas, das ihr große Sorgen bereitete.
    Ihr Vermieter war vorbeigekommen, um ihr anzukündigen, dass er das alte Holzhaus, in dem das Wohnen doch sicher unbequem sei, abreißen und an seine Stelle ein schickes Apartmenthaus setzen wolle. Yoshië befürchtete, dass es sich nur um eine Ausrede handelte, um sie hinauszuwerfen. Falls man sie an die Luft setzte, wüssten sie nicht, wohin. Und selbst wenn sie in den Neubau einziehen könnten, würde sich sicher die Miete erhöhen, und ein vorübergehender Umzug in eine andere Wohnung würde auch eine Menge Geld verschlingen, das war klar. Doch dazu fehlten ihr bei den knappen finanziellen Verhältnissen, in denen sie lebte, einfach die Rücklagen.
    Wenn ich doch Geld hätte!, dachte Yoshië verzweifelt. Die magere Versicherungssumme, die ihr nach dem Tod ihres Mannes ausgezahlt worden war, hatte sie längst für die bettlägerige Schwiegermutter verbraucht, auch ihre Ersparnisse waren dafür draufgegangen. Sie selbst besaß nur einen Mittelschulabschluss, da hatte sie wenigstens dafür sorgen wollen, dass Miki aufs College
gehen konnte, aber daran war nun nicht mehr zu denken, geschweige denn an die eigene Altersvorsorge.
    Deshalb konnte sie auch unmöglich die anstrengende Nachtschicht in der Lunchpaket-Fabrik aufgeben. Und natürlich würde sie gerne tagsüber noch eine andere Arbeit machen, aber wer sollte dann die Schwiegermutter pflegen?Yoshië war am Ende. Trotz aller Tüchtigkeit wusste sie einfach nicht mehr, wie es weitergehen sollte.
    Ihr musste wohl ein allzu tiefer Seufzer entfahren sein, denn aus dem Sechs-Matten-Zimmer drang die dünne Stimme ihrer Schwiegermutter: »Bist du da, Yoshië?« Kraftlos, so als habe sie es eben geschafft, die Laute herauszubringen.
    »Ja, ich bin zurück.«
    »Meine Windel ist nass!« Beherrscht, und doch mit einem Unterton, der keinen Widerspruch duldete.
    »Ja, ich komme gleich.«
    Yoshië nippte noch einmal an dem lauwarmen, dünnen Tee und zwang sich aufzustehen. Sie hatte längst vergessen, wie hässlich die Schwiegermutter sie in der ersten Zeit ihrer Ehe behandelt hatte. Jetzt war sie nur noch eine arme alte Frau, die ohne ihre Hilfe nicht überleben konnte.
    Ohne sie lief nichts. Dieser Gedanke war Yoshiës einziger Trost, dafür lebte sie. Auch in der Fabrik war das so. Man nannte sie die Meisterin, und am Band hörte alles auf ihr Kommando. Das war die Motivation, mit der sie die harte Arbeit aushalten konnte, das war ihr ganzer Stolz.
    Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass sie den Tatsachen nicht ins Auge sah – sie hätte es nicht ertragen, erkennen zu müssen, dass ihr niemand half. Stattdessen ließ sie sich durch etwas namens Stolz zu härtester Arbeit antreiben. Yoshië verschloss die Augen vor der Wahrheit und machte Fleiß zum obersten Prinzip ihres Lebens, das ihr half durchzuhalten.
    Wortlos betrat sie das

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