Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
die auf den Mietstellplätzen parkten. Ein schmuckes dunkelgrünes Golf Cabriolet fiel ihm besonders ins Auge.
Wem das wohl gehören mochte, in dieser Mietskaserne? Imai versuchte sich den Besitzer vorzustellen, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, dass es sich um das geliebte Auto von Kuniko handelte, deren Wohnung einen so ärmlichen Eindruck machte.
Eigentlich hatte er heute noch die fünf Fabrikarbeiter abklappern wollen, die Dienstagnacht freigehabt hatten, doch das verschob
er nun auf morgen. Denn wenn seine Theorie jetzt vollständig in sich zusammenbräche, würde das sowieso bedeuten, dass er klein beigeben und sich wieder Kinugasa anschließen musste.
Mit langem Gesicht machte sich Imai auf den Weg durch die unerträgliche Hitze. Er war kaum ein paar Schritte gegangen, da brach ihm schon wieder der Schweiß aus und durchnässte den Rücken seines T-Shirts.
6
Kazuo Miyamori lag bäuchlings auf seinem Hochbett und studierte ein Japanischlehrbuch.
Zu der Prüfung, den Arbeitsalltag in der Lunchpaket-Fabrik zu meistern, waren zwei weitere hinzugekommen: Zum einen musste er Masako dazu bringen, ihm ganz und gar zu verzeihen. Und zum anderen musste er sich, um das erreichen zu können, dem Studium der japanischen Sprache widmen. Im Unterschied zu der stupiden Aufgabe, gekochten Reis an die Fließbänder zu schaffen, hatten diese beiden neuen Prüfungen einen süßen Beigeschmack.
Watashi no namae wa Miyamori Kazuo desu. -
»Mein Name ist Kazuo Miyamori.«
Shumi wa sakkā o miru koto desu. -
»Mein Hobby ist Fußball schauen.«
Anata wa sakkā ga suki desu ka. -
»Magst du Fußball?«
Anata no suki na tabemono wa nan desu ka. -
»Welche Speisen isst du gern?«
Watashi wa anata ga suki desu. -
»Ich mag dich gern.«
Kazuo murmelte die Beispielsätze ein paarmal leise vor sich hin und wandte, immer noch auf dem Bauch liegend, den Blick zur Seite. Im Fenster, von dem er von seinem Bett aus nur den obersten kleinen Ausschnitt sehen konnte, leuchtete das tieforange Licht des Abendrots. Die Sommersonne ging gerade unter. Über den in strahlendes Orange getauchten Wolken nahm der Himmel schon langsam das dunkle Blau der Nacht an. Ja, es sollte so schnell wie möglich Nacht werden, wünschte sich Kazuo. Denn dann würde er Masako in der Fabrik wiedersehen können.
Seit jenem Tag hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Weil er fürchtete, dass sie ihn wieder ignorieren und ihm dadurch wehtun würde, wenn er sie anspräche. Aber er hatte sich heimlich das besorgt, was sie in jener Nacht in den Kanal geworfen hatte. Er hatte es einfach wieder herausgefischt.
Kazuo griff unter sein Kissen, holte den silberfarbenen Schlüssel hervor und schloss die Finger fest darum. Langsam erwärmte sich das kalte Metall in seiner Hand. Genau wie meine Gefühle für Masako, dachte er und war glücklich.
Seine Kollegen würden ihn sicher auslachen, wenn er ihnen davon erzählte, von wegen, sie sei doch viel zu alt für ihn. Oder er würde sich eine Predigt anhören müssen, dass er sich doch gefälligst ein brasilianisches Mädchen suchen solle, wenn er schon unbedingt eine Freundin wolle. Aber das brauchte auch niemand zu verstehen. Diese ältere Frau hatte etwas an sich, das nur er begreifen konnte, davon war er überzeugt. Und er selbst hatte sicher auch etwas an sich, das nur sie allein würde verstehen können. Wenn sie sich erst besser kennen lernten, würden sie bestimmt bald merken, wie ähnlich sie sich waren. Das versprach ihm dieser Schlüssel.
Kazuo zog den Schlüssel auf eine silberne Kette, die er sich um den Hals hängte. Solche Schlüssel gab es massenweise, nicht einmal Masako selbst würde bemerken, dass es sich um den handelte, den sie weggeworfen hatte. Kazuo war fünfundzwanzig und benahm sich wie ein Oberschüler, der sich zum ersten Mal verliebt hatte – und er war außer sich vor Glück.
Auf keinen Fall fasste er sein Verhalten als Ablenkungsmanöver von der depressiven Kälte im Heimatland seines Vaters auf. Einer Frau wie Masako zu begegnen wäre auch in Brasilien ein seltener Glücksfall, dachte Kazuo hellsichtig.
Am Tag zuvor war er frühmorgens zum Kanal gegangen.
Im Unterschied zu den Teilzeitkräften dauerte der Dienst der brasilianischen Fabrikarbeiter bis sechs Uhr. Danach wurde die Fabrik für kurze Zeit völlig menschenleer, bis zum Beginn der Tagschicht um neun. Kazuo passte diesen günstigen Zeitraum ab, um sich auf den Weg zum unterirdischen Kanal vor der stillgelegten
Weitere Kostenlose Bücher