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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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die nächste Überraschung: Es war ein Dolmetscher für Portugiesisch anwesend.
    »Was ist denn los?«
    »Jemand von der Polizei möchte Ihnen gleich ein paar Fragen stellen. Können Sie um zwölf wieder hier sein?«
    Nachdem er dem Dolmetscher aufgetragen hatte, Kazuo das zu sagen, wandte sich der Fabrikleiter wieder dem hinteren Bereich des Raumes mit der Vinyl-bezogenen Sitzgruppe zu, wo ein japanischer Fabrikarbeiter gerade von einem hageren Mann, offenbar einem Kriminalbeamten, befragt wurde.
    »Jemand von der Polizei?«
    »Ja. Der da.«
    »Er will mich etwas fragen?«
    »Ja, dich.«
    Kazuo stockte das Herz. Masako musste ihn wohl doch als Grabscher angezeigt haben. Angesichts dieses Verrats wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen. Es war sicher selbstsüchtig und zu viel verlangt gewesen, sie zu bitten, den Vorfall nicht der Polizei zu melden. Aber er hätte nie im Leben gedacht, dass sie ihn mit einer Lüge ruhig stellen würde. War es denn so töricht von ihm gewesen zu glauben, er könne so einfach um ihre Vergebung kämpfen?
    »Gut, ich werde da sein«, antwortete Kazuo auf Portugiesisch und schlich niedergeschlagen in den Aufenthaltsraum. Vor dem Getränkeautomaten neben der Tür stand Masako alleine und rauchte eine Zigarette. Sie war noch nicht umgezogen. Weder die »Meisterin« war schon da, noch die dicke Frau, die Kuniko hieß, und so hatte sie wohl niemanden, mit dem sie reden konnte. Seitdem Yayoi, die Schöne, nicht mehr zur Arbeit kam, hatte Masako sich irgendwie verändert, ihr Rücken sandte andere Signale aus. Es war, als umhülle sie eine Aura allumfassender Verweigerung und Ablehnung. Aber Kazuo sprach sie trotzdem mit vor Wut zitternder Stimme an: »Masako-san!«
    Sie drehte sich zu ihm um. Kazuo schaute ihr fest in die Augen und radebrechte mit aller Macht auf Japanisch: »Hast du erzählt?«
    »Was?«, fragte Masako erstaunt und verschränkte die knochigen
Arme vor der Brust. Sie sah ihn mit großen, aufrichtigen Augen an.
    »Poli-sei, ist gekommen.«
    »Die Polizei? Warum, wovon reden Sie?«
    »Du versprochen hast, oder?« Damit meinte Kazuo, alles gesagt zu haben, und beobachtete gespannt ihr Gesicht. Aber Masako presste die Lippen aufeinander und starrte nur zurück, ohne etwas zu erwidern. Verzweifelt ließ Kazuo die Schultern hängen und ging in den Umkleideraum. Es versetzte ihm einen Schlag, von seiner angebeteten Masako verraten worden zu sein, viel mehr noch als die Angst, jetzt vielleicht von der Polizei festgenommen zu werden und seine Arbeit hier zu verlieren.
    Da er ab zwölf, dem eigentlichen Schichtbeginn, vernommen werden sollte, musste er vorher schon umgezogen sein. Kazuo suchte den Bügel mit seiner Arbeitskleidung heraus und machte sich fertig. Innerhalb der Fabrikräume war das Tragen jeglichen Schmucks verboten, deshalb nahm er die Kette mit dem Schlüssel ab und verstaute sie sorgfältig in seiner Hosentasche. Als er mit dem blauen Kochmützchen, dem Erkennungszeichen der brasilianischen Fabrikarbeiter, in der Hand in den Aufenthaltsraum zurückkam, bemerkte er, dass Masako am selben Platz stand wie vorhin und ihm entgegensah. Sie war auch bereits umgezogen, aber sie hatte sich offenbar beeilt, denn es hingen ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Netz.
    »Warte mal.« Als er an ihr vorbeigehen wollte, legte sie ihre Hand auf seinen kräftigen Oberarm. Kazuo drehte sein Gesicht von ihr weg und ging schnurstracks zum Büro, ohne sich weiter um sie zu kümmern.
    Wenn Masako ihn verraten hatte, war die Prüfung für ihn vorbei – er war gescheitert, und das bedeutete für ihn, dass sein Leben nichts mehr wert war. Aber während er weiterging, nachdem er ihre Hand auf seinem Arm gespürt hatte, kam er wieder zur Besinnung. Nein, das war auch wieder eine Prüfung, und er musste sich der Prüfung gewachsen zeigen, die sie ihm auferlegt hatte. Der Schlüssel in seiner Hosentasche machte sich durch ein kaltes Gefühl an seinem Oberschenkel bemerkbar.
    Als er an die Tür zum Büro klopfte, wurde ihm sofort von innen geöffnet. Der Dolmetscher und der Inspektor erwarteten
ihn schon. Um sein Herzklopfen unter Kontrolle zu bringen, fasste er unwillkürlich nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche und klammerte sich daran fest.
    »Mein Name ist Imai.« Der Inspektor zeigte ihm seinen Polizeiausweis.
    »Mein Name ist Roberto Kazuo Miyamori.«
    Der Inspektor, der Imai hieß, war groß und hatte ein verschwindend kleines Kinn. Er wirkte gutmütig, besaß aber einen durchdringenden

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