Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
auszuhelfen. Imai spürte, wie sich seine Theorie mehr und mehr in Luft auflöste wie Tau am Morgen.
»Hallo, ist jemand zu Hause?«
Imai zog die Tür zu Yoshiës Haus auf und wich augenblicklich vor dem Kotgestank zurück, der ihm entgegenschlug. Vom zementierten Eingangsbereich aus konnte er bis ins hintere Zimmer des kleinen Hauses blicken, wo Yoshië gerade dabei war, einer offensichtlich bettlägerigen alten Frau die Exkremente abzuwischen.
»Ach, entschuldigen Sie vielmals!«, entfuhr es ihm.
»Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Imai. Ich bin vom Musashi-Yamato-Polizeirevier.«
»Ach, der Inspektor von der Kriminalpolizei? Wie Sie sehen, habe ich gerade alle Hände voll zu tun. Können Sie nicht später noch einmal wiederkommen?«
Solchermaßen von Yoshië zurechtgewiesen, war Imai sich unschlüssig, ob es nicht tatsächlich besser wäre, die Befragung zu verschieben. Aber dann besann er sich doch zu bleiben; schließlich war er nun schon extra hergekommen.
»Nun, verzeihen Sie, aber können wir nicht so reden?«
»Wie Sie wollen, mir soll’s recht sein.« Yoshië drehte sich missmutig zu ihm um. Ihr Haar war zerzaust, und auf der Stirn standen ihr dicke Schweißperlen. »Wenn Sie der Gestank nicht stört.«
»Nein, nein, ich muss mich entschuldigen, dass ich Sie mitten bei der Arbeit störe!«
»Was wollen Sie wissen? Geht es um Yama-chan?«
»Ja, genau. Sie sind mit ihr befreundet, habe ich gehört?«
»Befreundet? So würde ich das nicht direkt nennen. Sie ist schließlich eine ganz andere Generation als ich.« Damit packte Yoshië mit einer Hand beide Knöchel der alten Frau, rief: »Und
hoch damit!«, hob ihre Beine mit einem Ruck in die Luft und begann, ihr mit Toilettenpapier den verschmutzten Hintern abzuwischen. Imai wusste nicht recht, wohin er blicken sollte, sah zu Boden und betrachtete die kleinen Laufschühchen mit den aufgedruckten Trickfilmfiguren, die im Eingang lagen. Da bemerkte er das kleine Kind, das rechts von ihm auf dem Fußboden der winzigen, dunklen Küche saß, in der es nur eine Spüle und einen Gasherd gab, und friedlich Saft trank. Das musste Yoshiës Enkel sein. Völlig unmöglich, in diese Enge eine Leiche hereinzuschaffen und sie dann zu zerstückeln! Er brauchte sich das Bad gar nicht erst anzuschauen.
»Ist Ihnen in letzter Zeit an Frau Yamamoto irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Ich sage Ihnen doch, ich weiß gar nichts.« Yoshië war damit fertig, der alten Frau den Hintern abzuwischen, und zog ihr nun eine frische Windel an.
»Ah ja. Nun, welchen Eindruck haben Sie denn so von Frau Yamamoto?«
»Sie ist von der fleißigen Sorte«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Ja, sie ist von der fleißigen Sorte, die immer ihr Bestes gibt. Deshalb tut es mir ja so Leid, dass ihr Mann auf diese Weise umkommen musste!«
An den Wortenden zitterte ihre Stimme ein wenig, doch Imai machte die körperliche Anstrengung dafür verantwortlich.
»Wie ich gehört habe, soll Frau Yamamoto am Tag davor bei der Arbeit gestürzt sein, nicht wahr?«
»Sie sind ja bestens informiert!« Yoshië sah Imai an. »Ja, ja, sie ist über den Bottich mit Schweinebratensoße gestolpert.«
»Hatte das wohl irgendeinen Grund? Hat sie sich vielleicht wegen irgendetwas Sorgen gemacht?«
»Ach wo! In der Fabrik rutscht jeder mal aus«, sagte Yoshië sichtlich ungehalten und stand auf, in der Hand die volle Windel, die sie einfach am Eingang zur Küche abstellte, wo das Kind spielte. Dann wandte sie sich Imai zu, während sie ihren von der schweren Arbeit krummen Rücken streckte, und sagte: »Und, was wollen Sie noch wissen?«
»Nun ja, was haben Sie am Mittwochmorgen gemacht, Frau Azuma?«
»Das, was ich jeden Morgen mache, wie Sie heute gesehen haben.«
»Und danach?«
»Auch wieder dasselbe, den lieben langen Tag.«
Imai verabschiedete sich hastig und eilte mit hängenden Schultern davon. Der Anblick, wie Yoshië sich nach der Nachtschicht noch mit der Pflege der bettlägerigen alten Frau abplagen musste, hatte ihn schwer mitgenommen. Bei der ersten Befragung in der Fabrik, als er zusammen mit Kinugasa die Beschäftigten der Reihe nach durchgegangen war, hatte sie einen ängstlichen, irgendwie verdächtigen Eindruck auf ihn gemacht, aber da war er wohl zu voreilig gewesen. Seine Spekulationen sah er hier ebenfalls enttäuscht.
Jetzt fehlte ihm noch die Aussage einer weiteren Teilzeitkraft, die enger mit Yayoi zu tun zu haben schien, Kuniko Jōnouchi, aber
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