Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Fabrik zu machen.
Er wusste noch ungefähr, wo Masako gestanden hatte. Und das, was sie da verschwinden lassen wollte, hatte sich beim Aufschlagen metallisch angehört, deshalb durfte er hoffen, dass es nicht fortgetrieben worden war.
Er wartete ab, bis ein paar Angestellte und Schüler, die Richtung Bahnhof eilten, außer Sichtweite waren, bevor er mit aller Kraft einen der Betondeckel über dem Kanal hochstemmte und zur Seite schob. In dem dreckigen Wasser, das nie ein Lichtstrahl berührt hatte, spiegelte sich die klare Morgensonne, und seine Oberfläche glitzerte für einen kurzen Moment. Kazuo spähte hinein und konnte erkennen, dass das Wasser zwar trüb und schwarz, aber seichter war als erwartet, also sprang er beherzt mit seinen Joggingschuhen den guten Meter hinab.
Schlamm spritzte hoch und machte schwarze Flecken auf seine Jeans, er stand bis zu den Knöcheln in der stinkenden Brühe, und seine Nike-Schuhe waren damit wohl hinüber, aber das kümmerte ihn nicht, denn er sah den Schlüssel an einem schwarzen Lederanhänger, der an einer leeren, zerquetschten PET-Flasche hängen geblieben war.
Kazuo fasste mit der Hand in das lauwarme Wasser und zog den Schlüsselanhänger heraus. Das Leder schien alt und abgegriffen zu sein, denn die Ecken waren weiß zerfranst. Ein einzelner silberfarbener Schlüssel hing daran. Er hielt ihn ins Licht: Vermutlich handelte es sich um einen Haustürschlüssel. Wieso warf sie so etwas weg?, rätselte er, aber seine Bedenken wurden von der Freude zerstreut, etwas von Masako in Händen zu halten. Kazuo machte den Schlüssel von dem schwarzen Lederanhänger ab, der zu lange im Schlamm gelegen hatte, warf den Anhänger wieder weg und behielt nur den Schlüssel, den er in seine Hosentasche steckte.
In der Nacht ging Kazuo schon früh zur Fabrik und drückte sich in der Nähe des Eingangs im zweiten Stock herum, um auf Masako zu warten.
Am liebsten hätte er sie schon auf dem Weg entlang der stillgelegten Fabrik erwartet und beobachtet, wie sie vom Parkplatz her näher kam, aber das konnte er sich nun einfach nicht mehr leisten. Er durfte ihr auf keinen Fall noch einmal Angst einjagen. Nein, das stimmte nicht ganz. Er selbst war derjenige, der Angst
hatte. Kazuo grinste verlegen in sich hinein. Denn was er am meisten auf der Welt fürchtete, war, dass Masako ihn dann noch mehr ablehnen würde.
Kazuo stellte sich wie zufällig neben Komada, den Hygiene-Kontrolleur, tat so, als hätte er etwas an der Stechuhr vor dem Büroraum zu schaffen, und behielt dabei den Eingang im Auge. Bald darauf, etwa zu ihrer gewohnten Zeit, erschien dort die schmale, große Gestalt von Masako. Sie stellte ihre schwarze Tasche auf dem roten Teppichboden ab und streifte sich mit raschen Bewegungen die Turnschuhe von den Füßen. Dabei sah sie einmal flüchtig in Kazuos Richtung. Wie immer schien ihr Blick durch ihn hindurchzugehen und auf die Wand hinter ihm zu fallen. Trotzdem wurde Kazuo von reiner, natürlicher Freude erfüllt, so, als hätte er die Sonne aufgehen sehen.
Masako wandte Komada, nachdem sie ihn begrüßt hatte, den Rücken zu und ließ es schweigend über sich ergehen, dass er ihr mit der Fusselrolle ein paar Mal darüberfuhr. Sie hatte ein übergroßes grünes Polohemd und Jeans an. Ihre Tasche hielt sie in der Hand. Während Kazuo mit stockendem Atem gegen das Herzklopfen kämpfte, das ihn immer beim Anblick von Masako überkam, schaute er sie verstohlen von oben bis unten an. Sie kleidete sich lässig wie ein junger Mann, aber Kazuo war entzückt von ihrem Gesicht und ihrer ganzen Erscheinung, der alles Überflüssige fehlte.
Masako ging jetzt direkt an ihm vorbei. Er fasste sich ein Herz und grüßte sie: »Guten Morgen!«
»Guten Morgen«, erwiderte Masako verwundert und ging weiter in den Aufenthaltsraum. Dankbar griff Kazuo nach dem Schlüssel an der Kette um seinen Hals und drückte ihn zärtlich. Er war glücklich, dass Masako ihn zurückgegrüßt hatte. Als hätte man nur noch auf das Ende dieser Zeremonie gewartet, ging in dem Moment die Tür zum Büro auf.
»Ach, Herr Miyamori, das trifft sich ja gut! Können Sie kurz zu mir hereinkommen?«
Es war der japanische Fabrikleiter, der ihn zu sich winkte. Während der Frühschicht hielt sich außer einem älteren Wachmann normalerweise niemand mehr im Büro auf, deshalb war es schon verwunderlich, dass der Fabrikleiter überhaupt noch da war. Doch
als Kazuo, wie von ihm verlangt, ins Büro trat, erwartete ihn gleich
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