Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
gefallen.«
Der Inspektor sah ihn mit einer Spur Mitleid in den Augen an. »Wie alt sind Sie eigentlich?«
»Fünfundzwanzig.«
Imai versank verständnisvoll nickend in Gedanken und blickte dann eine ganze Weile stumm auf seine Notizen.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragte Kazuo, der die Stille kaum ertragen konnte, aber der Inspektor winkte ab.
»Wie ich von jemandem gehört habe, soll hier manchmal ein Grabscher auftauchen, der Frauen belästigt. Ist Ihnen das Gerücht bekannt?«
Kazuo schloss seine Faust fest um den Schlüssel in seiner Hosentasche. »Ja, gehört habe ich davon.… Von wem haben Sie das erfahren?«
» Nun, es dürfte wohl niemand etwas dagegen haben, wenn ich Ihnen das sage.« Imai lachte leise. »Ich habe es von einer der Teilzeitbeschäftigten erfahren, Frau Jōnouchi.«
Kazuo ließ den Schlüssel los. Die Innenflächen seiner Hände
schwitzten. Aber er war froh und dankbar, dass es nicht Masako gewesen war. Er musste sich nachher gleich wieder bei ihr entschuldigen.
»Das hat zwar nichts mit dem Fall Yamamoto zu tun, aber gibt es unter den Brasilianern keine Mutmaßungen über diesen Grabscher? Wer es sein könnte, zum Beispiel, oder wen er belästigt hat?«
»Nein«, erwiderte Kazuo bestimmt, warf einen Blick zur Uhr an der Wand und setzte sich einfach das blaue Kochmützchen auf.
Imai verzichtete auf weitere Fragen und verabschiedete sich: »Vielen Dank.«
Die Fließbandarbeit war längst in vollem Gange, und am Bandende stapelten sich die fertigen Lunchpakete schon zu einem ansehnlichen Berg. Sowohl Kuniko als auch die Meisterin fehlten, nur Masako war da. Sie stand am Kopf des Bandes und gab Reis auf. Seit dem Vorfall mit dem Mann von dieser Yayoi tauchten die vier Frauen kaum noch gemeinsam auf. Kazuo fand das merkwürdig. Aber er war froh darüber, dass heute keine von Masakos Freundinnen da war. Denn wenn er sich mit dem Umziehen beeilte, würde er nach der Arbeit vielleicht noch mit ihr sprechen können.
Es war schon weit nach sechs, als Kazuo endlich von der Arbeit erlöst wurde, denn die brasilianischen Arbeiter hatten eine Viertelstunde länger Dienst machen müssen. Ausgerechnet heute! Enttäuscht verließ Kazuo die Fabrik. Masako war bestimmt schon nach Hause gegangen. Die klare Morgensonne fiel schräg auf die graue Mauer der Automobilfabrik und überzog sie allmählich mit Licht. Ein so schöner Sommermorgen, und er musste sein Zimmer abdunkeln und schlafen gehen, als wäre er ein Tier! Niedergeschlagen griff Kazuo in die Gesäßtasche seiner Hose, zog seine schwarze Kappe heraus und setzte sie auf. Als er die Augen danach wieder hob, blieb er vor Schreck wie angewurzelt stehen. Denn vor ihm stand Masako, am selben Platz, an dem er damals im Regen auf sie gewartet hatte.
»Herr Miyamori«, sprach sie ihn mit vor Müdigkeit blassem Gesicht an, und Kazuo griff unwillkürlich nach dem Schlüssel – seinem Glücksbringer -, den er wieder an der Kette um den Hals trug, und
zog ihn unter seinem T-Shirt hervor. Masako warf einen flüchtigen Blick auf den Schlüssel auf Kazuos weißem T-Shirt, kam aber offenbar nicht darauf, dass es sich um den handelte, den sie weggeworfen hatte, denn sie schaute sofort wieder in Kazuos Gesicht. »Was meinten Sie mit dem, was Sie mir vorhin gesagt haben?«
Sie schien keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass er nicht so viel Japanisch verstand. Aber Kazuo begriff irgendwie, was sie wissen wollte.
»Entschuldigung. Es war ein Fehler.« Kazuo ahmte die japanische Sitte nach und verbeugte sich.
Mit einem Gesicht, das verriet, dass sie noch nicht ganz zufrieden war, sah Masako in Kazuos schwarze Augen: »Glauben Sie mir, ich habe zu niemandem von Ihnen gesprochen.«
»Ja«, sagte Kazuo und nickte immer wieder.
»Die Polizei war doch sicher wegen Yama-chan und dem Mordfall hier, nicht wahr?«, sagte Masako und machte sich schon auf den Weg zum Parkplatz. Wie verzaubert lief Kazuo ihr hinterher. Eine Gruppe brasilianischer Arbeiter und Arbeiterinnen kam laut und ausgelassen redend aus dem Fabrikgebäude. Aus Furcht vor ihren Blicken verlangsamte Kazuo seinen Schritt und ließ ein paar Meter Abstand zu Masako. Sie schien sich nichts dabei zu denken, dass Kazuo ihr folgte, und ging rasch und zielsicher weiter, erhobenen Hauptes, den Blick nach vorne gerichtet.
Als seine brasilianischen Kollegen in den Weg zum Wohnheim abgebogen und verschwunden waren, befanden sich Kazuo und Masako gerade auf der Höhe der stillgelegten Fabrik. Der
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