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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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bringe ich es dir lieber jetzt schon vorbei.«
    Masako streckte ihr den Bankumschlag entgegen. Offenbar war ihr das beim Geldabheben aufgefallen, und sie war gleich hergefahren. Typisch Masako, immer praktisch, immer flexibel. Außerdem hätte es in der Fabrik jemand sehen können. Auch das schien sie bedacht zu haben, und Yoshië fiel auf, wie umsichtig und rücksichtsvoll Masako war.
    »Danke. Am Monatsende zahle ich es dir auf jeden Fall zurück.«
    »Du kannst es mir ruhig in Raten wiedergeben.«
    »Nein, kommt nicht in Frage. Ihr müsst doch euren Kredit bedienen.«
    »Das geht schon in Ordnung.« Masako lächelte ein wenig. Auf der Arbeit zeigte sie fast nie ihr gelöstes Gesicht, deshalb war Yoshië wie bezaubert von diesem seltenen Anblick.
    »Aber …«
    »Mach dir keine Gedanken, Meisterin«, sagte Masako entschieden, und ihr Gesicht wurde wieder ernst. Da erschien auf ihrer Stirn neben der linken Augenbraue die kleine steile Falte, die wie eine Narbe aussah und die Yoshië immer wieder verwirrte, da sie sie für ein Zeichen von Kummer hielt. Sie wusste nicht, worum es ging. Und selbst wenn sie es wüsste – Yoshië befürchtete, dass eine einfache Frau wie sie es wohl kaum verstehen könnte.

    »Warum arbeitet jemand wie du bloß in so einer Fabrik?«
    »Was redest du da! – Tschüs, bis nachher!« Masako hob kurz die Hand, drehte sich um und ging Richtung Hauptstraße, wo sie ihren roten Corolla abgestellt hatte.
    Nur einen Augenblick später kam Miki aus der Schule heim, und Yoshië gab den Umschlag sofort an sie weiter: »Hier, das Geld.«
    Sie nahm ihn wie selbstverständlich entgegen und schaute kurz hinein. »Wie viel ist drin?«
    »Dreiundachtzigtausend Yen.«
    »Thanks.« Gleichgültig stopfte Miki den Umschlag in die Seitentasche ihres schwarzen Rucksacks. Dann meinte Yoshië einen Ausdruck von »Ich hab’s geschafft« über ihr Gesicht huschen zu sehen, und für einen kurzen Moment kam ihr der Verdacht, die Reisekosten könnten in Wahrheit wesentlich niedriger sein. Doch wie immer vermied sie es instinktiv, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Miki würde sie doch niemals belügen! Die eigene Tochter, die tagtäglich mitansah, wie sie sich abstrampeln musste? Unvorstellbar!

4
    Wie hypnotisiert verfolgten Mitsuyoshi Satakes Augen die silberne Kugel.
    Heute würden die neuen Automaten aufgestellt, hatte es geheißen, deshalb war er früh aufgestanden, hatte sich angestellt und diesen hier ergattert. Er spielte nun schon über drei Stunden, bald dürfte er ihn geknackt haben. Bis dahin war Geduld angesagt. Er war übermüdet, hatte kaum geschlafen, und von den grellbunten Farben des Pachinko-Automaten taten ihm die Augen weh, aber was soll’s. Satake nahm die Augentropfen aus dem italienischen Necessaire, das vor ihm lag. Er machte eine Spielpause und tröpfelte sich die Flüssigkeit in beide Augen. Die Tropfen brannten auf der trockenen Hornhaut, bis seine Augen tränten. Satake, der seit der Kindheit nicht mehr geweint hatte, genoss, wie die heiße Flüssigkeit ihm die Wangen hinunterrann, und ließ es einfach geschehen.
    Die junge Frau mit geschultertem Rucksack, die neben ihm spielte, streifte Satakes Gesicht mit ihrem Blick. Er sah ihr unmissverständlich
an, was in ihr vorging: Zwar verspürte sie ein gewisses Interesse für ihn, wollte aber mit einem Mann, an dessen auffälliger Kleidung man gleich erkennen konnte, in welchen Kreisen er sich bewegte, nichts zu tun haben. Durch tränenverschleierte Augen betrachtete Satake die festen, straffen Wangen der jungen Frau. Knappe zwanzig, höchstens. Er hatte die Angewohnheit, bei jeder Frau, die ihm begegnete, sofort das Alter abzuschätzen.
    Satake war dreiundvierzig. Ein kräftiger Hals verband seinen kurz geschorenen Schädel mit seinem stämmigen Körper, wodurch sein Gesamteindruck grobschlächtig war. Aber seine kleinen, mandelförmigen Augen wirkten gescheit, seine Nase war gerade und wohlgeformt, und er besaß erstaunlich schöne Hände mit langen, feingliedrigen Fingern. Ein Kraftmensch mit einem feinen Gesicht und zarten Händen – dieses Ungleichgewicht verlieh ihm eine rätselhafte, unheimliche Ausstrahlung.
    Satake zog mit seinen schönen Händen ein teures Markentaschentuch aus der Tasche seiner schwarzen, hochglänzenden Hose und tupfte sich damit Augen und Wangen ab. Auf seinem passend zur Hose maßgefertigten Hemd aus schwarzer Seide hatten die herabgetropften Tränen Flecken hinterlassen. Satake tupfte auch diese Stellen

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