Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
gelesen hatte.
»Dann tu das schnell. Du wirst dich wundern.«
»Was ist denn passiert?«
»Lies schnell selbst. Ich warte so lange.«
Yayoi drängte sie zwar zur Eile, doch ihre Stimme klang nicht ängstlich, sondern froh und aufgekratzt. Masako legte den Hörer zur Seite und blätterte die Zeitung auf. Mitten auf Seite drei war als Schlagzeile zu lesen: »Neue Erkenntnisse im Fall um den Leichenfund im Koganei-Park – Wichtiger Zeuge vernommen«. Masako überflog den Artikel. Die Polizei schien den Betreiber des Spielsalons zu verdächtigen, den Kenji an jenem Abend besucht hatte. Sie hatten den Mann offenbar aufgrund eines anderen Delikts festgenommen und hielten ihn nun in Untersuchungshaft. Fast machte es Masako Angst, dass alles sich so überaus günstig entwickelte.
Sie nahm den Hörer wieder auf: »Ich hab’s gelesen«, sagte sie, die Zeitung immer noch in der Hand.
»Na, was sagst du? Wir haben doch ein Riesenglück!«
»Das wird sich zeigen«, entgegnete Masako vorsichtig.
»Ich war jedenfalls baff, das ist doch zu schön, um wahr zu sein! Aber da steht ja, dass es einen Streit gab, und das stimmt, das weiß ich.«
»Wieso?«
Es war offenbar niemand in der Nähe, denn Yayoi redete unbekümmert drauflos: »Als er nach Hause kam, hatte er eine aufgeplatzte Lippe, und sein Hemd war ein bisschen dreckig, da hab ich mir gleich gedacht, dass er sich mit irgendwem geprügelt hat.«
»Davon hab ich gar nichts bemerkt.«
Yayoi sprach von dem lebenden Kenji und Masako von der Leiche. Aber Yayoi schien ihr sowieso nicht zuzuhören und plapperte verzückt weiter: »Ob er die Todesstrafe bekommt?«
»Bestimmt nicht. Wahrscheinlich kommt er aus Mangel an Beweisen bald wieder frei.«
»Schade!«
»Was redest du denn da!«, wies Masako sie zurecht.
Yayoi wehrte sich: »Wieso? Kenji war schließlich verrückt nach einer Frau aus seiner Bar!«
»Und deshalb trägt er eine Mitschuld und hat dieselbe Strafe verdient, willst du sagen?«
»Nein, das nicht, aber aufregen tut es mich schon!«
»Warum war dein Mann nur auf einmal so verrückt nach dieser anderen Frau?«, sagte Masako nachdenklich, ohne eine Antwort zu erwarten, während sie ihre Zigarette ausdrückte. Dass sie überhaupt auf diese Frage kam, hatte vielleicht mit Kazuo und dem, was er ihr gesagt hatte, zu tun.
»Wahrscheinlich, weil ihm das Leben mit mir zu langweilig geworden war«, erwiderte Yayoi, deren Zorn offenbar immer noch nicht abgeklungen war. »Ich hatte doch für ihn jeden Reiz verloren!«
»Mag sein.« Masako hätte große Lust gehabt, Kenji selbst zu fragen, wenn er noch lebte. Denn sie wollte unbedingt wissen, warum man sich in einen Menschen verliebte – falls es denn überhaupt einen Grund dafür gab.
»Wenn nicht, war es pure Rache gegen mich.«
»Weswegen hätte er sich denn an dir rächen sollen? Du bist doch das Musterbeispiel einer guten Ehefrau und Mutter!«
Am anderen Ende der Leitung blieb es für eine Weile still, als müsste Yayoi erst nachdenken. Schließlich sagte sie: »Genau das hat er an mir gehasst, bestimmt.«
»Aber wieso denn?«
»So eine Frau bringt zwar Sicherheit, ist aber langweilig.«
»Warum?«
»Das weiß ich doch nicht, ich bin schließlich nicht Kenji«, entgegnete Yayoi ausnahmsweise heftig.
Masako besann sich: »Ja, da hast du Recht.«
»Du bist irgendwie so komisch heute, Masako, als wärst du nicht ganz bei dir.«
»Ich bin bloß müde.«
»Ja, sicher, daran hab ich gar nicht gedacht, weil ich neuerdings immer nachts schlafe«, entschuldigte sich Yayoi. »Wie geht es der Meisterin – gut?«
»Heute war sie nicht da. Kuniko auch nicht. Ich glaube, die ganze Sache hat die beiden ziemlich mitgenommen.«
»Wie, was denn?«
Masako schwieg.
»Ach so, das. Entschuldige bitte, du meinst natürlich wegen mir und... Ach ja, bevor ich’s vergesse: Ich hab Bescheid von Kenjis Lebensversicherung, dass die Summe vollständig ausbezahlt wird. Ich werde ihnen das Geld also bald geben können.«
»Wie viel willst du ihnen denn geben?«, fragte Masako hastig.
»Eine Million für jede. Ist das zu wenig?«
»Viel zu viel«, sagte Masako nachdrücklich. »Fünfhunderttausend reichen vollkommen aus, und für Kuniko ist das noch zu viel.«
»Aber dann sind sie doch sicher sauer auf mich. Ich kriege schließlich insgesamt fünfzig Millionen!«
»Von der Lebensversicherung brauchst du ihnen doch kein Wort zu sagen. Du zahlst ihnen das Geld, und damit basta. Gib stattdessen mir lieber zwei
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