Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
erledigt hatte, hinterfragte sie jetzt.
Aus der Kühltruhe der Fleischtheke stieg weißer Kältenebel empor wie Giftgas. Direkt davor war es außergewöhnlich kalt. Ihre Arme bekamen Gänsehaut. Masako strich sich sacht darüber, wie um sich selbst zu trösten, und nahm eine Packung Rindergeschnetzeltes heraus. Die gleiche Farbe wie Kenjis Muskelfleisch, schoss es ihr durch den Kopf, und sie legte die Packung langsam wieder in die Truhe zurück. Dann ertappte sie sich dabei, wie sie nach der Farbe seiner Sehnen, seiner Knochen, seines Fetts suchte, und musste würgen. Das passierte ihr zum ersten Mal. Ob die Anspannung sich allmählich löste? Masako verlor jeden Mut und gab es auf, kochen zu wollen. Sie beschloss, ohne Abendessen zur Schicht zu gehen. Hungrig, mit leerem Magen, das war ihre Strafe. Wofür, wusste sie nicht.
Das lauwarme, windstille, drückende Klima vor der Ankunft eines Taifuns machte ihr zu schaffen. Der Sommer war damit endgültig zu Ende. Masako sah zum Himmel auf und lauschte dem entfernten Grollen des Windes, das von irgendwo da oben schon leise zu hören war.
Als sie auf dem Parkplatz des Supermarkts wieder vor ihrem roten Corolla stand, bemerkte sie das alte Fahrrad, das quer über die riesige Asphaltfläche auf sie zusteuerte und ihr bekannt vorkam.
»Meisterin!« Masako hob die Hand zum Gruß.
»Hast du gar nichts eingekauft?«, fragte Yoshië mit verwundertem Gesicht, nachdem sie neben dem Corolla angehalten und einen Blick auf Masako geworfen hatte, die mit leeren Händen dastand.
»Ich hab’s aufgegeben.«
»Wieso?«
»Ich hatte plötzlich keine Lust mehr.«
Yoshië schüttelte den Kopf, und Masako fielen die vielen grauen Haare auf, die sie wie über Nacht bekommen hatte.
»Ja, musst du denn kein Essen kochen heute Abend? Was ist los?«
»Nichts. Ich bin es nur irgendwie leid. Wahrscheinlich bin ich einfach bloß zu müde.«
»Du kannst dir das ja leisten. Wenn ich mir so was erlauben würde, wären die Schwiegermutter und der kleine Issey bald tot.«
»Ist dein Enkel denn immer noch bei dir?«
»Ja, und ich weiß nicht mal, wo meine Tochter überhaupt steckt. Die Schwiegermutter macht auch noch keine Anstalten zu sterben, und der Kleine heult den ganzen Tag vor sich hin. Bin ich denn nur dazu da, immer mehr Last aufgebürdet zu bekommen?«
Anstatt darauf zu antworten, lehnte Masako sich an den Corolla und sah zum bedrohlich gefärbten Himmel auf, der den nahen Taifun ankündigte. Immer, wenn sie sich Yoshiës endlose Klagen anhören musste, bekam sie das Gefühl, mitten in einem Tunnel zu stecken, dessen Ende man nicht sehen konnte. Das war doch längst alles unwichtig! Sie wollte frei sein! Sie wollte endlich raus, weg von all dem Kram. Menschen, die sich nicht daraus befreien konnten, wurden eben unter dem immer gleichen Alltag begraben, wie sie selbst bisher.
»Der Sommer geht auch bald zu Ende.«
»Was redest du da? Wir haben September, der Sommer ist längst zu Ende!«
»Ja, ich weiß.«
»Du kommst doch heute zur Arbeit, oder?«, erkundigte sich Yoshië bang. Masako schaute ihr unwillkürlich ins Gesicht. Denn die Frage brachte sie erst auf den Gedanken, in der Fabrik zu kündigen.
»Hab ich zumindest vor, wieso?«
» Na, da bin ich aber froh! Ich dachte schon, du würdest uns womöglich im Stich lassen. In letzter Zeit bist du so komisch, so als wärst du nicht ganz bei dir.«
»Euch im Stich lassen? Was meinst du denn damit?« Masako sah Yoshië an, während sie ihre Zigaretten aus der Umhängetasche zog. In dem Moment kam ein Windstoß, und Yoshiës strohige Haare flogen hoch, worauf sie sie mit beiden Händen an den Kopf drückte.
»Na ja, wo du früher in einer Bank angestellt gewesen bist, das weiß ich von Kuniko, also da ist doch die Schufterei in der Fabrik auf Dauer sicher nichts für dich!«
»Von Kuniko hast du das erfahren?« Da fiel ihr ein, dass der Stichtag, bis zu dem Kuniko ihre nächste Rate bezahlt haben musste, längst verstrichen war. Wie hatte sie das Geld aufbringen können – ohne Einkommen? Die Information über ihren ehemaligen Arbeitsplatz konnte sie nur von Jūmonji erhalten haben. Masako verfiel ins Grübeln. Sie hatte Kuniko, die zu allem fähig war, wenn man sie nur gehörig in die Enge trieb, viel zu lange aus den Augen gelassen. Reue und Zweifel bohrten sich in Masakos Brust. »Ich komme ganz bestimmt. Und ich höre auch nicht auf in der Fabrik.«
»Gott sei Dank!« Yoshië strahlte übers ganze Gesicht.
»Hör
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