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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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müssen sicher heute Abend noch in die Fabrik. Wie wäre es, wenn wir uns davor zum Essen verabreden würden, vielleicht irgendwo in einem Family-Restaurant?«
    Masako entschied sich für neun Uhr in dem Royal Host nicht weit von der Fabrik.
    Sie hatte doch noch alles vermasselt. Seit dem Gespräch mit Yoshië hatte sie diese Ahnung beschlichen, und jetzt fühlte sie sich dafür verantwortlich. Es kam ihr wie ihre eigene Fehlleistung vor, und das bedrückte sie.
    Sie hörte, wie die Haustür aufging und heftig gegen die Kette schlug. Jetzt klingelte es Sturm. Masako lief sofort zum Eingang, hakte die Kette aus und zog die Tür weit auf. Draußen stand Nobuki, das Gesicht trotzig zur Seite gewandt. Obwohl es so schwül war, hatte er eine schwarze Strickmütze bis knapp über die Augen
gezogen; außerdem trug er ein verwaschenes schwarzes T-Shirt, eine übergroße Hose, die ihm um die Hüftknochen schlabberte, und Nike-Schuhe.
    »N’Abend. Komm rein.«
    Ohne ein Wort schlüpfte ihr Sohn an ihr vorbei ins Haus. Die erstaunliche Geschmeidigkeit, die sein hart und steif wirkender, stämmiger junger Körper dabei an den Tag legte, überraschte Masako. Jeder andere Teenager hätte sich, kaum dass ihm aufgemacht worden wäre, als Erstes lauthals über die blöde Kette beschwert. Nobuki rannte, ohne Masako auch nur eines Blickes zu würdigen, sofort in sein Zimmer hinauf.
    »Besorg dir dein Abendessen heute selbst!«, brüllte sie ihm hinterher. Ihre Stimme schallte überlaut durch die verwaisten Räume. Masako beschloss, dass diese Botschaft nicht nur ihrem Sohn im ersten Stock, sondern dem ganzen Haus mit allem, was dazu gehörte, galt.
     
    Als sie pünktlich zur verabredeten Zeit im Royal Host eintraf, war Jūmonji schon da. Er saß unauffällig an einem der hinteren Tische und erhob sich, als er sie sah. In der Hand hielt er eine zerknitterte Abendzeitung.
    »Vielen Dank, dass Sie kommen konnten.«
    Masako schaute ihm nur in die Augen und setzte sich auf den Platz gegenüber. Jūmonji war leger gekleidet, ein weißes Polo hemd mit Jackett. Masako hatte wie üblich keinen Gedanken an ihr Äußeres verschwendet und trug eins von Nobukis abgelegten T-Shirts und Jeans.
    »Guten Abend, meine Dame, mein Herr!«
    Ein Kellner in schwarzer Livree, wahrscheinlich der Manager, reichte ihnen die Speisekarte und zog sich wieder zurück, wobei ihn die Frage zu umschweben schien, in welcher Beziehung Masako und Jūmonji denn wohl zueinander stehen mochten.
    »Haben Sie schon zu Abend gegessen?«
    Vor Jūmonji stand ein Eiskaffee. Masako überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf: »Nein, noch nicht.«
    »Dann bestellen Sie doch. Ich möchte auch etwas essen.«
    Masako wählte ein Spaghetti-Gericht. Jūmonji bestellte bei dem
schwarz Livrierten für sich dasselbe und trug ihm eigenmächtig auf, den zugehörigen Kaffee erst nach dem Essen zu bringen.
    »Meine Güte, ist das lange her – nicht unsere zufällige Begegnung vor kurzem, das waren ja nur wenige Minuten -, nein, ich meine, seit wir in der Spar- und Darlehenskasse Tanashi zusammengearbeitet haben. Ich habe so viel von Ihnen gelernt!«, schmeichelte Jūmonji ihr und blickte ihr scheu, fast ängstlich, ins Gesicht.
    Wieso fürchtet er sich vor mir, wunderte sich Masako. »Was wollen Sie mit mir besprechen?«
    »Sie fallen aber mit der Tür ins Haus«, sagte Jūmonji und zuckte sichtlich zurück.
    »Sie haben mich doch angerufen und gesagt, sie hätten etwas mit mir zu besprechen, was am Telefon schlecht ginge!«
    »Sind Sie früher in der Sparkasse auch schon so gewesen, Frau Katori?«
    »Wie – so?« Masako trank einen Schluck Wasser. Es war eiskalt.
    »Na ja, so vernünftig eben, oder wie man das nennen soll.«
    »Natürlich. Und Sie können allmählich auch Ihr wahres Gesicht zeigen, ich kenne es sowieso!« Mittlerweile hatte er sein Äußeres und seine Sprache zwar geschickt verändert, so dass man ihn sympathisch finden konnte, aber damals war er noch ein Halbstarker mit ausrasierten Brauen und Minipli gewesen, der sich kleidete wie ein Yakuza. Ihr war auch das Gerücht zu Ohren gekommen, dass er irgendeiner Motorradgang aus Adachi angehört hatte.
    »Mein wahres Gesicht?«, wiederholte Jūmonji und kratzte sich am Kopf. »Mit Ihnen kann ich’s einfach nicht aufnehmen, Frau Katori!«
    Die Spaghetti wurden serviert. Masako nahm die Gabel in die Hand und begann zu essen. Nun kam sie doch noch zu ihrem Abendessen, wenn auch auf völlig unerwartete Weise.

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