Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
sachte mit dem Taschentuch ab. Die auffälligen Sachen, wie auch die Gucci-Slipper, die er barfuß trug, waren nichts weiter als Berufskleidung für ihn. Trüge er einen Business-Anzug, die junge Frau von nebenan hätte weitaus mehr Interesse für ihn gezeigt, dessen war er sich bewusst.
Satake sah auf die Rolex aus reinem Gold, die er am rechten Handgelenk trug. Schon kurz vor zwei, Zeit, sich auf den Weg zu seiner Verabredung zu machen. Er schnalzte mit der Zunge und blickte auf die übrig gebliebenen Kugeln in seiner Schale hinunter – im selben Moment knackte er den Jackpot. Die Kugeln prasselten in die Schale und hüpften lustig auf den Boden.
»Verdammt!«, schimpfte Satake über das schlechte Timing und stieß den Arm der Frau neben ihm mit dem Ellbogen an. Erstaunt wandte sie sich ihm zu.
»Ich habe keine Zeit mehr. Wenn Sie mögen, spielen Sie doch hier weiter.«
»Was – wirklich!« Sie schien sich zu freuen, blieb aber auf der
Hut, beobachtete sein Gesicht und machte nicht eher Anstalten, seinen Platz einzunehmen, bis er tatsächlich aufbrach. Satake grinste süffisant, nahm sein Necessaire in die Hand und stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf. Während er den Gang der Pachinko-Halle entlangging, durch die dumpfer, tiefer Rap dröhnte, dachte er darüber nach, was die junge Frau jetzt wohl von ihm halten mochte.
Kaum hatte er einen Schritt vor die automatische Tür der lärmerfüllten Spielhalle gesetzt, umfing ihn eine andere Art von Trubel: Kinowerbung, Männergeschrei, Schlagermusik, die aus Karaoke-Kabinen auf die Straße drang. Obwohl es ihn irgendwie beruhigte, in die Atmosphäre von Kabuki-chō 4 einzutauchen, die ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen war, spürte er doch auch ein gewisses Unbehagen, nicht hierher zu gehören. Satake sah zu dem schmalen, von schmutzigen Häusern eingefassten Stück Himmel auf. Er hatte das trübe, wolkenverhangene, drückend schwüle Wetter satt, bei dem es jeden Moment zu regnen anfangen konnte.
Das Necessaire unter den Arm geklemmt, beeilte er sich voranzukommen. Kurz vor dem Koma -Theater störte ihn ein Kaugummi, der ihm unter der Ledersohle klebte, und er versuchte, ihn an der Bordsteinkante abzustreifen. Doch die hohe Luftfeuchtigkeit hatte den Kaugummi quellen lassen, die klebrige Masse ließ sich nicht so ohne weiteres entfernen, was Satake wütend machte.
Die ganze Nacht lungerten hier Jugendliche herum und übersäten den Gehweg mit ihren Abfällen, überall lauerten dunkle, klebrige Flecken. Er musste so Acht geben, nicht hineinzutreten, dass er fast in eine Schlange älterer Frauen gelaufen wäre, die für ein Schlagerfestival im Koma -Theater anstanden. Er hob die rechte Hand, damit sie ihn durchließen, aber die Frauen waren so sehr ins Schwatzen vertieft, dass sie ihn gar nicht wahrnahmen. Er schnalzte leise mit der Zunge, doch dann machte er lächelnd einen Bogen um sie. Was sollte er sich über Leute aufregen, mit denen er nichts zu tun hatte. Da ärgerte ihn der Kaugummi unter seiner Schuhsohle weitaus mehr.
Die Verteiler von Werbezetteln, die Kundenfänger für Rotlicht
Etablissements, die in Grüppchen herumspazierenden, schlampig aufgetakelten Oberschülerinnen ließen ihn geflissentlich in Ruhe. Diese Sorte Leute spürte die gefährlichen Schwingungen genau, die er aussandte. Mit beiden Händen in den Hosentaschen und mürrischem Gesicht bog er in eine Nebengasse ein.
Satakes Club, das »Mika«, war in einem Gebäude in einer Seitenstraße der Kuyakusho-dōri, der Straße, in der die Bezirksverwaltung von Shinjuku lag. Flink wie ein wildes Tier rannte er die Treppe in den ersten Stock hinauf und stieß die schwarze Flügeltür zum »Mika« am Ende des Flurs auf. Drinnen war alles hell erleuchtet, und zusammen mit dem Tageslicht, das matt durch die mit Reliefs im Stil griechischer Statuen geschmückten Milchglasfenster einfiel, ließ die Beleuchtung den Raum seltsam weiß erscheinen. Eine Frau saß an einem Tisch nahe dem Eingang und wartete auf ihn. Ein Beweis dafür, dass sie nur zu gut wusste, wie sehr Satake, die Pünktlichkeit in Person, es hasste, wenn man ihn zur verabredeten Zeit warten ließ.
»Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Der Dank ist ganz auf meiner Seite, Satake-san«, erwiderte Lì-huá Zhàng in, trotz einiger Intonationsschwächen, perfektem Japanisch. Die Taiwanesin war die »Mama-san« in Satakes Club, die Geschäftsführerin. Lì-huá hatte die fünfunddreißig schon überschritten, eine reife
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