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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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würde sie mein Haus hier beobachten?«
    »Nein, sie schien den Boden der Parzelle zu prüfen. Außer ihr habe ich noch eine Frau aus der Nachbarschaft gesehen, die zum Einkaufen ging, aber ich glaube, keine der beiden hat mich beachtet.«
    Es war vielleicht doch verkehrt gewesen, Jūmonjis Maxima zu benutzen. Beim nächsten Mal würden sie den Corolla nehmen, das war unauffälliger, beschloss Masako.
    Als die Kisten im Auto verstaut waren und Jūmonji damit davonfuhr, bemerkte Yoshië treffend: »Genau wie Nakayama, wenn er die fertigen Lunchpakete abtransportiert!«
    Sie prusteten los vor Lachen. Dann stellten sie sich abwechselnd unter die Dusche und putzten in einem Aufwasch gleich das Bad.Yoshië wurde unruhig, da es ihr wohl langsam zu spät wurde. Masako reichte ihr das Geld, das sie für sie abgezählt hatte.
    »Hier, dein Lohn.«
    Yoshië nahm es mit spitzen Fingern entgegen, so als wäre es etwas Schmutziges, und verstaute es tief unten in ihrer Einkaufstasche aus Kunstleder. Aber dann verkündete sie hörbar erleichtert: »Du weißt gar nicht, was für ein Segen das für mich ist.«

    »Was willst du denn damit machen?«
    »Ich dachte, ich schicke Miki aufs College«, antwortete Yoshië, während sie sich die zerzausten Haare glatt strich. »Und du?«
    »Tja...« Masako legte den Kopf schief. Sie hatte jetzt insgesamt fünf Millionen Yen. Was wollte sie eigentlich mit dem Geld machen?
    »Sei mir bitte nicht bös, wenn ich das frage aber...«, druckste Yoshië herum.
    »Was?«
    »Hast du auch nur eine Million bekommen?«
    »Ja, natürlich«, antwortete Masako und sah Yoshië dabei unverwandt an.
    Mit bedauernder Miene holte die daraufhin das Banknotenbündel wieder aus ihrer Tasche hervor. »Tja, dann muss ich sie dir wohl zurückgeben, die achtzigtausend, die du mir geliehen hast...« Es ging offenbar um das Geld, das Masako ihr für Mikis Klassenfahrt ausgelegt hatte. Yoshië zog aus dem Bündel zerknitterter Zehntausend-Yen-Scheine acht heraus und reichte sie Masako mit einer Verbeugung zurück. »Es fehlen noch dreitausend. Kann ich sie dir in der Fabrik geben? Ich hab gerade kein Kleingeld da.«
    »In Ordnung.« Schulden waren Schulden. Masako sagte nicht, lass nur, ist schon okay.
    Yoshië, die diese Worte vermutlich erwartet hatte, sah ihr lange ins Gesicht, bis sie sich schließlich resigniert erhob. »Tja, dann bis heute Nacht in der Fabrik.«
    »Ja, bis dann.«
    Nachtschichtkolleginnen trafen sich in der Nacht. Allein schon deshalb war ihnen die gemeinsame Arbeit am helllichten Tag irgendwie nicht geheuer.

SECHSTES KAPITEL

    Apartment 412

1
    Es war deprimierend, abends aufzustehen, und in der Zeit des Übergangs vom Herbst zum Winter, wenn die Sonne früh unterging, war es besonders trostlos. Masako lag auf dem Bett und sah zu, wie die Abendsonne versank und es im Zimmer allmählich dunkel wurde.
    In solchen Augenblicken verfluchte sie die Nachtschicht. Es gab Kolleginnen, die deswegen Depressionen bekommen hatten, und das konnte sie gut verstehen. Nicht die frühe Dunkelheit war es, die einen fertig machte, sondern das Gefühl, verkommen zu sein, weil man von dem ordentlichen, geregelten Tagesablauf der normalen Menschen abgeschnitten war.
    Wie viele Morgen hatte sie sich in ihrem Leben schon abhetzen müssen! Als Erste aufstehen, Frühstück machen, Lunchboxen füllen, Wäsche aufhängen, sich anziehen, ein schlecht gelauntes Kind besänftigen und zum Hort bringen. Ständig ein Auge auf der Uhr an der Wand oder verstohlene Blicke zur Armbanduhr, immer hastig, immer eilig, keine Zeit, die Zeitung zu lesen oder sich ein Buch vorzunehmen. Beim Zubettgehen durchrechnen, wie viel Stunden Schlaf einem noch blieben, und an den wenigen freien Tagen einen Berg dreckiger Wäsche und unerledigter Putzarbeit im Rücken. All die schrecklich ordentlichen, geregelten Tage, an denen keine Rede gewesen war von Trostlosigkeit und Verkommenheit.
    Sie sehnte sich beileibe nicht nach ihnen zurück. Deshalb war es gut, so wie es jetzt war. Wenn man von der Sonne aufgeheizte Steine umdrehte, kam darunter kalte, feuchte Erde zum Vorschein. Und im Moment kostete sie die Dunkelheit der sonnenabgewandten Seite gründlich aus. Auch wenn der Erde die Wärme
fehlte, fühlte sie sich wohl dort, sie vermisste nichts. Wie ein zusammengerollter Regenwurm. Ja, sie hatte sich in einen Regenwurm verwandelt. Masako machte die Augen wieder zu. Ihre Glieder waren schwer, wahrscheinlich, weil sie immer nur leicht, kurz und

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