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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Zerlegung von Kenjis Leiche verändert, das wusste sie nur zu gut. Die kleinen Falten zwischen den Augenbrauen waren tiefer und ihr Blick noch stechender geworden. Man hätte auch sagen können, sie sei gealtert. Ihre Lippen jedoch waren halb geöffnet und schienen einen Namen rufen zu wollen. Was war nur in letzter Zeit mit ihr los? Sie versteckte ihren Mund hinter der Hand. Doch das Leuchten in ihren Augen ließ sich nicht verbergen.
    Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Yoshiki oder Nobuki schien heimgekommen zu sein. Sie schaute auf den Wecker auf ihrem Nachttisch: Es war kurz vor acht. Sie fuhr sich kurz mit der Bürste durchs Haar, zog eine Strickjacke über und ging aus dem Zimmer. Im Bad lief die Waschmaschine. Offenbar war es Yoshiki, der nach Hause gekommen war. Seit einigen Jahren wusch er seine Unterwäsche selbst.
    Masako klopfte an seine Tür. Sie bekam keine Antwort, also trat sie einfach ein. Noch im weißen Oberhemd, saß Yoshiki auf dem Bett und hörte über Kopfhörer Musik. Das Zimmer wirkte eng, da sie eine Doppelbetthälfte in den viereinhalb Matten kleinen Raum gestellt hatten. Mit den Bücherregalen und dem Schreibtisch, den Yoshiki noch hineingezwängt hatte, sah es aus wie bei einem Studenten, der zur Untermiete wohnt. Masako klopfte Yoshiki von hinten auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum und nahm die Kopfhörer ab. Als er Masako im Pyjama vor sich stehen sah, fragte er: »Was ist, fühlst du dich nicht wohl?«
    »Nein, ich hab bloß verschlafen.« So kurz nach dem Aufstehen fröstelte Masako, und sie knöpfte sich die Strickjacke zu.
    »Um acht Uhr abends verschlafen...«, sagte Yoshiki wie zu sich selbst, »irgendwie merkwürdig.«
    Yoshiki war auf der Sonnenseite des Steins, also redete er von dieser Warte aus. Masako lehnte sich ans Zimmerfenster, das nach Norden wies. »Ja, merkwürdig ist es schon.«
    Aus den Kopfhörern, die er aufs Bett gelegt hatte, drang klassische Musik. Ein Stück, das Masako nicht kannte.
    »In letzter Zeit kochst du nicht mehr«, sagte Yoshiki, ohne ihr dabei in die Augen zu sehen.

    »Nein.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil ich mich dagegen entschieden habe.«
    Noch fragte Yoshiki nicht weiter nach dem Grund. »Na ja, musst du wissen, mir ist das gleich. Aber wovon ernährst du dich?«
    »Von dem, was gerade da ist, wie und wann ich Lust habe.«
    »Und die Familie kann sehen, wo sie bleibt?«, sagte Yoshiki mit bitterem Grinsen.
    »Ja«, antwortete sie ehrlich. »Tut mir Leid, aber ich finde, das sollte jeder von uns so machen, wie es ihm passt.«
    »Warum?«
    »Weil ich ein Wurm geworden bin. Ein Regenwurm, der faul in der Erde liegt.«
    »Wenn du das kannst, meinetwegen.«
    »Heißt das, als Frau kann man sich das leisten?«
    »Hm, ja, vielleicht.«
    »Du bist genauso dazu in der Lage.«
    »Ich? Nein, unmöglich!« Yoshiki schaute ihr entgeistert ins Gesicht. »Wie kannst du nur so etwas sagen?«
    »Sieh dich doch an, lebst du etwa nicht wie in einer Festung? Du gehst zur Arbeit, kommst zurück und machst, was dir passt, nichts anderes. Du könntest genauso gut zur Untermiete hier wohnen!« Masako machte eine wegwerfende Handbewegung durch das Zimmer ihres Mannes.
    Sofort versuchte Yoshiki, das Gespräch zu beenden, das Thema schien ihm lästig zu sein. »Ist ja schon gut«, sagte er und griff nach den Kopfhörern.
    Masako betrachtete den Mann, der vor ihr saß. Im Vergleich zu der Zeit, als sie sich kennen gelernt hatten, war sein Haar schütter und grau geworden. Er hatte an Gewicht verloren, und sein Körper roch ständig wie Bodensatz, aus dem sich aller Alkohol verflüchtigt hat. Doch stärker als diese äußerlichen Veränderungen störte Masako, dass seine Seele immer puritanischer zu werden trachtete.
    Als sie geheiratet hatten, war Yoshiki ein Mensch mit dem festen Vorsatz gewesen, sich seine innere Freiheit und einen wachen Geist zu bewahren. Wenn sein Körper auch der Firma gehören
mochte, war er, sobald er sie hinter sich gelassen hatte, ein herzensguter, liebenswerter Mann gewesen, der die noch unreife Masako geliebt hatte. Auch Masako hatte diesen Yoshiki gemocht und ihm vertraut.
    Aber wenn ihn die Firma jetzt aus ihren Fängen ließ, wollte er auch von seiner Familie nichts mehr wissen, denn er war überzeugt, von Verderbtheit umzingelt zu sein. Und so konnten ihm weder die Firma noch seine berufstätige Frau das Gefühl von Freiheit vermitteln. Sein Sohn Nobuki hatte einen Irrweg eingeschlagen und war stehen geblieben. Je

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