Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
prinzipienstrenger Yoshiki wurde, umso mehr verstärkte sich offenbar seine Resignation all denen gegenüber, die ihm nicht zu folgen vermochten. Als logische Konsequenz daraus blieb ihm nur, sämtliche Beziehungen abzubrechen und zum Einsiedler zu werden – einen anderen Weg gab es nicht. Nur stand Masako nicht der Sinn danach, mit einem Eremiten zusammenzuleben. Und mit diesem Gedanken erinnerte sie sich an die Lust, die sie eben im Traum verspürt hatte.
Sie fasste sich ein Herz und fragte Yoshiki, der die Kopfhörer wieder aufgesetzt hatte: »Wieso schläfst du nicht mehr mit mir?«
»Wie bitte?« Yoshiki setzte die Kopfhörer ab.
»Warum verziehst du dich alleine hierher?«
»Tja... Wahrscheinlich, weil ich alleine sein will«, antwortete er mit Blick auf die Buchrücken der ordentlich im Regal aufgereihten Romane.
»Alleine sein will jeder einmal.«
»Ja, vielleicht.«
»Warum schläfst du nicht mehr mit mir?«
»Das ist doch ganz natürlich, dass das irgendwann aufhört.« Yoshiki wandte die Augen von ihr ab, ohne den entsetzten Ausdruck in seinem Gesicht verbergen zu können. »Und du hast auch immer so müde ausgesehen.«
»Ja, mag sein.« Masako versuchte sich an den Anlass zu erinnern, der sie vor vier, fünf Jahren dazu gebracht hatte, getrennte Schlafzimmer zu beziehen. Aber ihr fielen nur lauter Nebensächlichkeiten ein, an deren Einzelheiten sie sich nicht einmal mehr entsinnen konnte. Wahrscheinlich war es gerade die Anhäufung unbedeutender Kleinigkeiten gewesen, die sie beide so kaputt gemacht hatte.
»Es ist doch nicht nur der Sex, der eine Ehe zusammenhält.«
»Nein, aber du verweigerst dich ja auch allem anderen. Man könnte meinen, du fändest es schon schrecklich, überhaupt etwas mit mir oder Nobuki zu tun zu haben«, murmelte Masako, worauf Yoshiki unerwartet laut wurde.
»Aber du warst es doch, die unbedingt Nachtschicht machen wollte!«
»Was blieb mir denn übrig, es gab keine andere Stelle.«
»Du lügst.« Jetzt schaute Yoshiki sie unverwandt an. »Einen Job in der Buchhaltung hättest du überall kriegen können, jede kleine Firma braucht so jemanden. Nein, du warst verletzt, und da wolltest du ganz etwas anderes machen, um ja nicht noch einmal dasselbe erleben zu müssen, stimmt’s?«
Natürlich hatte Yoshiki sie durchschaut, er war zu empfindsam, um so etwas zu übersehen. Und nicht nur das: Er wusste auch, dass sie beide sich gegenseitig verletzt hatten.
»Willst du damit sagen, dass alles kaputtgegangen ist, weil ich mich für die Nachtschicht entschieden habe?«
»Nein, das nicht, aber ich habe daraus geschlossen, dass wir wohl beide lieber alleine sein wollen, das gebe ich zu.«
Masako begriff, dass auch Yoshiki, genau wie sie selbst, eine neue Tür aufgemacht hatte. Traurig machte sie das nicht gerade, aber einsam. »Würde es dich überraschen, wenn ich von hier fortginge?«, unterbrach sie das entstandene Schweigen.
»Wenn es von einem Tag auf den anderen käme, vielleicht. Ich würde mir wahrscheinlich Sorgen machen.«
»Aber du würdest nicht nach mir suchen?«
Yoshiki überlegte eine Weile und schüttelte dann den Kopf: »Nein, wahrscheinlich nicht.« Damit hielt er das Gespräch offenbar für beendet, denn er widmete sich wieder der Musik aus dem Kopfhörer. Masako betrachtete noch eine Weile sein Profil. Sie beschloss, dieses Haus irgendwann zu verlassen. Das, was diesen Entschluss beförderte, befand sich direkt unter der Matratze, auf der sie eben noch gelegen hatte, in dem Kasten mit Bettzeug. Fünf Millionen Yen in bar.
Als sie leise die Tür öffnete, um aus Yoshikis Zimmer zu gehen, entdeckte sie draußen auf dem dunklen Flur Nobuki. Sie musste ihn überrascht haben, denn er sah sie mit Panik im Blick an, blieb
aber wie angewurzelt stehen. Masako zog die Tür hinter sich ins Schloss.
»Hast du zugehört?«
Nobuki antwortete nicht, sondern schlug verwirrt die Augen nieder.
»Du bildest dir wohl ein, immer bloß einfach schweigen zu können, wenn dir etwas nicht in den Kram passt. Aber damit wirst du nicht durchkommen.«
Nobuki blieb stumm wie ein Fisch. Masako sah zu ihrem Sohn auf, der sie um einiges überragte. Dieser Sohn, dessen Körpermaße es ihr heute schier unglaublich erscheinen ließen, dass er einmal in ihrem Bauch gewesen sein und sie ihn geboren haben sollte. Für den sie bis jetzt gesorgt hatte und den sie schon bald verlassen würde.
»Ich werde wahrscheinlich ausziehen. Aber ich denke, du bist mittlerweile erwachsen
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