Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
wahrscheinlich verbrannte man welkes Laub oder dergleichen. Irgendwo am sanftblauen Himmel flog gemächlich eine Propellermaschine, und aus einem Nachbarhaus drang entferntes Klappern von Geschirr. Ein Vorstadtmorgen wie jeder andere. Masako warf einen Blick auf das freie Stück Bauland mit dem roten Lehm gegenüber. Die Frau mittleren Alters, die behauptet hatte, das Grundstück kaufen zu wollen, hatte sich
seitdem nie mehr wieder blicken lassen. Nichts stach hervor, alles schien vollkommen unverändert, und doch war es ihr irgendwie unheimlich.
Eine Fahrradbremse quietschte.
»Da bin ich.« Über ihrem grauen Jersey-Anzug trug Yoshië eine alte schwarze Windjacke, die ihr offenbar Miki vermacht hatte.
Masako sah ihr in die geröteten Augen, die nach der durchgearbeiteten Nacht gegen die Helligkeit ankämpften. Sie selbst würde jetzt wohl genauso aussehen, wenn sie in der Fabrik gewesen wäre. »Geht’s dir gut, Meisterin?«
»Ja, alles bestens. Ich hab’s ja so gewollt, hab dich schließlich gebeten, mir Bescheid zu geben.« In Yoshiës Augen lag jetzt eine Entschlossenheit, die vorher nie da gewesen war. Die wilde Entschlossenheit, es zu Geld zu bringen.
»Komm schnell rein«, drängte MasakoYoshië, die ihr Fahrrad abstellte. Yoshië schlüpfte zur Tür herein, streifte ihre Leinenschuhe ab, die wie Kinderpantoffeln aussahen, und sah Masako besorgt an.
»Wie ist es denn mit deiner Erkältung?«
An dem Regentag, als sie bei Yoshië vorbeigefahren war, hatte Masako sich eine schlimme Erkältung geholt und war seither nicht zur Arbeit gegangen.
»Viel besser.«
»Na, Gott sei Dank! Trotzdem, diese Arbeit, bei der man so viel mit kaltem Wasser hantieren muss, ist dann eigentlich noch nichts für dich!«
Sie meinte natürlich das Zerteilen einer Leiche. Beim letzten Mal war ihnen aufgefallen, dass es effektiver war, wenn man die ganze Zeit das Wasser laufen ließ und immer wieder nachspritzte.
»Ist in der Fabrik alles in Ordnung?«
»Wenn du wüsstest«, erwiderte Yoshië und senkte die Stimme: »Kuniko hat aufgehört!«
»Was! Kuniko?«
»Ja, stell dir vor. Vor drei Tagen hat sie plötzlich ihre Kündigung eingereicht. Der Vorarbeiter soll zwar pro forma noch versucht haben, es ihr auszureden, aber du weißt ja, wie das ist. Jemand wie Kuniko ist denen im Grunde egal. Seitdem ist sie nicht mehr da gewesen«, sagte Yoshië, während sie sich die Windjacke auszog und sie ordentlich zusammenfaltete.
Masako starrte abwesend auf das weiße Innenfutter aus Flanell, das abgescheuert und an vielen Stellen fadenscheinig geworden war.
»Yama-chan kommt auch nicht mehr«, fuhr Yoshië fort, »und du hast gefehlt, weil du krank warst. Ich war ganz allein. Und weil ich mich so einsam fühlte, hab ich die Bandgeschwindigkeit auf achtzehn hochgefahren. Das hättest du mal sehen sollen! Aufgescheucht wie die Hühner hab ich sie alle, und sofort hagelte es Proteste! Ach, ich bin diese ganzen Stümper leid.«
»Das kann ich mir vorstellen!«
»Und dann hat sich gestern Abend dieser Brasilianer nach dir erkundigt.«
»Der Brasilianer?«
»Na, dieser junge Mann, Miyamori heißt er, oder so ähnlich.«
»Was hat er denn gefragt?«
»Ob du aufgehört hättest. Der Arme, er scheint sich in dich verguckt zu haben.«
Masako hörte nur schweigend zu, ohne auf Yoshiës neckische Vermutung einzugehen. Sie sah Kazuos verletztes Gesicht vor sich, als er im Sommer vollkommen verloren mitten auf dem Weg stehen geblieben war. Wie weit, weit weg das alles jetzt schon war!
Yoshië hatte aufgehört zu reden und wartete eine Weile auf Masakos Reaktion. Als die ausblieb, plauderte sie weiter. »Aber der Bursche hat unglaublich gut Japanisch gelernt, wirklich, ich war bass erstaunt! Vielleicht, weil er noch jung ist, da fällt einem so was leicht.«
Vermutlich war sie aufgeregt wegen der bevorstehenden Arbeit, jedenfalls war Yoshië an diesem Morgen ausgesprochen geschwätzig. Unter dem Redeschwall, der auf sie niederprasselte, überlegte Masako, ob es vernünftig wäre, Yoshië von ihrer eigenen Angst zu erzählen oder nicht, und stand unschlüssig da, als warte sie unter einem Vordach auf eine Regenpause. Da hörten sie, wie vor der Haustür ein Auto vorfuhr.
»Das ist er!« Yoshië richtete sich auf.
»Warte!« Masako ging zur Tür und spähte vorsichtig durch den Spion nach draußen. Der dunkelblaue Maxima parkte genau vor dem Haus. Jūmonji war pünktlich.
Masako öffnete die Haustür einen Spalt, da war Jūmonji
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