Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Der allein gelassene Jūmonji ließ den Motor an, während er noch mit dem heftigen Drang kämpfte, das Auto mit allem drum und dran einfach hier stehen zu lassen und abzuhauen. Ihm war, als hätte er zum allerersten Mal im Leben richtige Angst. Als er schon eine ganze Weile gefahren war, wurde ihm endlich klar, dass nicht die Leiche in seinem Kofferraum der Grund für diese Angst war, sondern der Mann, der sie gebracht hatte.
7
Zum ersten Mal seit einer Woche fühlte sie sich wieder einigermaßen wohl, die Erkältung war abgeklungen.
Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie zwar immer noch ein wenig mitgenommen aussah, doch ihre Wangen hatten wieder Farbe bekommen, und die Ränder unter den Augen waren fast verschwunden. Und das, obwohl sie sich gleich wieder in diese schreckliche Arbeit stürzen würde, dachte sie zynisch, während sie ihr Spiegelbild betrachtete.
Zum Glück war Yoshiki pünktlich zur Arbeit gegangen, und auch Nobuki hatte frühmorgens für seinen Aushilfsjob das Haus verlassen. Seit jenem Gespräch neulich abends hatte sich ihr Mann noch häufiger auf sein Zimmer zurückgezogen. Da sie ihm angekündigt hatte, dass sie vielleicht ausziehen würde, schottete er sich wahrscheinlich noch stärker von ihr ab, um nicht verletzt zu werden. Es war, als wären sie längst getrennt, obwohl sie unter demselben Dach lebten, und Masako konnte den Schmerz darüber nicht einfach so beiseite wischen. Nobuki wenigstens hatte allmählich wieder angefangen, den Mund aufzumachen. Das beschränkte sich zwar auf Aussprüche wie »Gibt’s was zu essen?«, aber Masako war froh darüber.
Um das Bad für die Arbeit vorzubereiten, räumte Masako Seife, Shampoo und dergleichen weg und legte die Bodenfliesen mit der Plastikplane aus. Sie öffnete das Fenster weit, damit der Badedunst des gestrigen Abends abziehen konnte. Es war ein ausgesprochen warmer, schöner Spätherbsttag. Ihr körperliches Befinden, das Wetter, alles hätte kaum besser sein können, aber tief in ihrer Brust lauerte eine riesengroße Angst. Wie sollte sie das dem übermütigen Jūmonji oder Yoshië erklären? Und wer mochte dieser unsichtbare Fremde nur sein?
Masako hatte da durchaus eine Vermutung. Darauf gekommen war sie, als sie mit der Erkältung im Bett gelegen hatte. Aber einen sicheren Beweis gab es natürlich nicht.
Sie machte das Fenster wieder zu, schloss die Badezimmertür ab und lief in die Diele, auf die Haustür zu. Sie konnte die Ankunft des Objekts kaum erwarten. Nicht, weil sie sich darauf gefreut hätte, sondern aus Angst. Denn sie wartete weniger auf den
toten Körper als vielmehr auf eine wie auch immer geartete, neue Wendung der Ereignisse. Die gefährliche Ungewissheit, es einfach nur noch durchzuziehen, ohne eine Ahnung zu haben, wohin die Reise ging, versetzte Masako in eine kaum zu ertragende Rastlosigkeit.
Masako stieß ihre Füße in Nobukis große Strandsandalen auf dem Betonboden im Eingangsbereich. Sie hielt es weder länger im Haus aus, noch konnte sie vor die Tür gehen und draußen auf Jūmonji warten, also blieb sie genau dazwischen, auf dem Estrich im Eingang stehen, die Arme fest vor der Brust verschränkt, um die unerklärliche Angst in ihrem Herzen im Zaum zu halten.
»Verdammte Scheiße!«, fluchte sie, wie um sich abzureagieren. Das alles gefiel ihr nicht, ganz und gar nicht. Und am wenigsten gefiel sie sich selbst dabei. Sie war von den Umständen mitgerissen worden, bevor sie noch genügend Vorkehrungen hatte treffen können. Ob der unsichtbare Fremde genau das beabsichtigt hatte? Mittlerweile schien ihr das durchaus plausibel.
Der dunkelblaue Maxima vor ihrem Haus würde auffallen, auch wenn es für noch so kurze Zeit war. Sie hatte sich fest vorgenommen gehabt, beim nächsten Mal ihren eigenen Wagen zu nehmen, aber nun hatte die Zeit dafür nicht ausgereicht, und niemand wusste, ob es diesmal wieder gut laufen würde. Sie konnte die Last der Reue über diese riesengroße Dummheit, in der sie nun bis zum Hals steckte, und der immensen Angst, irgendwo etwas übersehen zu haben, einfach nicht abschütteln. Während sie in dem engen Eingangsbereich stand und hin- und herüberlegte, drohte das Gefühl der Verlorenheit sie beinahe zum Platzen zu bringen wie einen zu fest aufgeblasenen Luftballon, bis sie schließlich die Haustür aufmachte und ins Freie trat.
Es war ein warmer Morgen. Die Nachbarschaft wirkte wie immer ruhig und friedlich. Von einem Feld in der Ferne stieg eine Rauchsäule empor;
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