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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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mehr bereit war, mit ihm zu reden? Sie ließ ihm ja nicht einmal den Hauch einer Chance, es überhaupt erneut zu versuchen.
    Nein, das war nicht ganz richtig: Er würde es nie erreichen können, dass sie ihm ganz und gar verzieh – solange sie ihn nicht liebte. Und wenn das stimmte, geriet auch sein ursprüngliches Ziel, die erste Prüfung, die er sich auferlegt hatte, empfindlich ins Wanken.
    Schließlich war die Sache mit Masako für ihn die schwerste Prüfung. Falsch: Es war ja nicht einmal eine Prüfung, denn mit seinem Willen konnte er dabei gar nichts ausrichten. Im Gegenteil: Die Prüfung bestand gerade darin zu ertragen, dass mit dem
Willen nichts auszurichten war. Als Kazuo das begriffen hatte, gab es für seine Tränen kein Halten mehr.
    Ich fahre heim, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Er hatte genug, Weihnachten würde er nach São Paulo zurückkehren. Dann konnte er sich eben kein Auto kaufen. Hier in Japan verplemperte er seine Zeit sowieso bloß mit der Herstellung dieser Lunchpakete, die ihm nicht einmal schmeckten. Den Umgang mit einem Computer würde er auch in Brasilien noch lernen können. Er hielt es hier einfach nicht mehr aus.
    Sobald er den Entschluss gefasst hatte, nach Hause zurückzukehren, war die Wolke, die so bedrohlich über seinem Kopf geschwebt hatte, plötzlich wie weggeblasen. Mit ihr hatte sich auch all das, was er als Prüfung betrachtet hatte, still und leise in nichts aufgelöst. Stattdessen war nur noch ein einsamer, nichtsnutziger Mann übrig geblieben, der am Kampf mit sich selbst gescheitert war. Mit geradezu feindseligen Augen betrachtete Kazuo noch einmal die im Dämmerlicht aufragende Lunchpaket-Fabrik.
    In dem Augenblick nahm er vom Weg her eine dunkle, leicht zu überhörende Frauenstimme wahr: »Herr Miyamori?«
    In der Annahme, sich verhört zu haben, schaute er hinunter, doch da stand tatsächlich jemand, in Jeans und einer Männer-Daunenjacke, deren Risse im Stoff mit Klebeband geflickt worden waren. Masako. Überrascht und ungläubig, dass sie, an die er gerade noch gedacht hatte, jetzt tatsächlich vor ihm stand, blickte Kazuo sich auf dem engen Flur um, ob es sich nicht um eine Verwechslung handelte. Alles war wie im Traum.
    »Herr Miyamori?«, rief Masako jetzt noch einmal deutlicher.
    »Ja, ich komme!« Kazuo rannte die Treppe hinunter, dass sie bebte. Masako mied das Licht der Straßenlaterne und entfernte sich von ihm in die Dunkelheit hinein, wie um den Augen der Parterre-Bewohner zu entgehen.
    Zögernd folgte ihr Kazuo, ohne zu wissen, ob er das durfte. Weshalb war sie hergekommen? Würde sie ihm nur wieder wehtun? Gerade hatte er sie aufgegeben, doch jetzt ließ ihr Erscheinen in seinem Inneren jene Prüfung wieder aufflammen, als hätte man eine glimmende Glut mit neuen Scheiten versorgt. Schnell wuchs ihm das lodernde Feuer über den Kopf, und Kazuo blieb verwirrt stehen, als er Masako eingeholt hatte.

    »Ich habe eine Bitte an Sie.« Masako blickte ihm rundheraus ins Gesicht. Richtig, fiel ihm wieder auf, sie sah einen ja immer direkt an. Aus dieser Nähe betrachtet, wirkte ihr Gesicht verhärmt und hatte etwas ungemein Kompliziertes an sich, so wie ein nicht zu entwirrendes Wollknäuel. Trotzdem fand er sie schön. Wie ein Erfrierender, der im tiefsten Winter auf die wenigen Sonnenstrahlen des Tages wartet, harrte Kazuo sehnsüchtig der nächsten Worte von Masako.
    »Könnten Sie das hier für mich in Ihrem Schließfach aufbewahren?« Masako griff in die schwarze Schultertasche, die Kazuo schon an ihr kannte, und holte einen Umschlag heraus. Er sah flach und schwer aus, als seien irgendwelche Papiere darin.
    Kazuo starrte nur darauf, ohne ihn entgegenzunehmen. Er traute sich nicht, die Hand danach auszustrecken. »Warum?«
    »Weil ich niemand anders mit einem Schließfach kenne.«
    Masakos Worte enttäuschten Kazuo. Er hatte gehofft, dass sie etwas anderes sagen würde. »Wie lange?«
    Masako überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Mh, ja... bis ich es wieder brauche. Verstehen Sie eigentlich, was ich sage?«
    »Das meiste ja…«, erwiderte er, obwohl ihm das alles sehr merkwürdig vorkam. Warum behielt sie den Umschlag nicht selbst? Sie konnte ihn doch zu Hause aufbewahren. Und wenn sie unbedingt ein Schließfach wollte, gab es am Bahnhof genug davon.
    »Sie fragen sich sicher, warum ich Sie darum bitte, nicht wahr?«, sagte Masako, und ihre Wangen entspannten sich. »Es handelt sich um Dinge, die ich nicht zu Hause lassen kann. In der

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