Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
und auf dem von Unkraut überwucherten Baustellengelände wirbelte der Wind sandigen Staub auf.
Im Eisstadion gab es wohl irgendeine Veranstaltung, denn eine große Menge von Grundschülern in bunter Kleidung hatte sich in langen Reihen davor aufgestellt. Masako parkte an einer unauffälligen Stelle der Straße hinter dem Bahnhof, bahnte sich einen Weg durch die Schülerschlangen und überquerte eilig die Straße. Sie verschwand in einer Nebengasse. Eine kleine Kneipe reihte sich neben die andere, es stank nach Abfall, alles war trist und menschenleer. Vielleicht kam sie schon zu spät. Unwillkürlich beschleunigte sie ihren Schritt.
Neben dem Sushi-Laden, an dessen Außenwand ein Anschlag von der Schließung des Geschäfts kündete, rannte sie die Treppe zum »Verbraucherzentrum Million« im ersten Stock hinauf. Das
billige Baumaterial ächzte unter ihren Füßen. Hinter der dünnen Sperrholztür am Ende der Treppe tat sich nichts, kein Geräusch war zu hören. Sie blieb eine Weile davor stehen und lauschte, bis sie plötzlich das Gefühl hatte, ein Mensch habe sich leise dahinter bewegt.
»Jūmonji-san, ich bin’s, Masako Katori, machen Sie auf!«
Jūmonji, noch in denselben Sachen wie am Morgen, als sie auseinander gegangen waren, erschien mit erschrockenem Gesicht. Er schwitzte. Im Büro deutete alles darauf hin, dass er gerade dabei war, heimlich seine Flucht vorzubereiten, denn die Laden des einzigen Aktenschranks und des Schreibtischs standen offen. Wie sie ihn kannte, hatte er vor, alle Schriftstücke zusammenzusuchen, aus denen noch irgendwie Geld zu machen war, und damit zu verschwinden. Sollten doch seine Angestellten sehen, wo sie blieben.
»Ach Sie, Frau Katori!«
»Hab ich Ihnen Angst gemacht?«
Jūmonji antwortete nicht, sondern lächelte nur verlegen. Von seinen Angestellten war niemand da.
»Haben Ihre Mitarbeiter alle gekündigt?«
»Die eine kommt ab nachmittags, um das Telefon und den Laden zu hüten. Die wird sich wundern«, sagte Jūmonji mit hämischem Grinsen und ließ Masako ein. »Was ist denn los? Wir haben uns doch gerade erst verabschiedet.«
»Gut, dass ich Sie noch erwische! Ich möchte nämlich alles über Kunikos Schuldenverhältnisse wissen. Das fragen Sie doch ab, wenn Sie Geld verleihen, oder?«
»Ja, aber... Wozu denn?«
Masako blickte in Jūmonjis Gesicht, das längst jeden Anflug von Geistesgegenwart verloren hatte.
»Ich weiß, wer Satake ist.«
»Ja?« Jūmonji zog die Augenbrauen hoch.
»Der Wächter auf dem Parkplatz der Fabrik, der sich Satō nennt.«
»So was! Genial!«, rief Jūmonji voller Bewunderung, wobei nicht klar war, ob sie Satake galt, der sich als Parkplatzwächter ausgegeben hatte, oder Masako, die seine Maskerade aufgedeckt hatte. »Ist das auch wirklich sicher?«
»Ja, und außerdem wohnt er in Kunikos Mietskaserne.«
»Also, in meiner Zeit bei der Motorradgang in Adachi hab ich ja schon einige Schurken erlebt, aber jemand, der so gründlich zu Werke geht, ist mir noch nie untergekommen. Wirklich ein ganz anderes Kaliber«, murmelte Jūmonji beeindruckt, zog aber dann die Stirn in Falten, so als erinnere er sich wieder daran, wie er Kunikos Leiche abgeholt hatte, und strich sich über die Mundwinkel. Als gäbe es dort etwas abzustreifen.
Masako sah sich in Jūmonjis Büro um, das gähnend leer und heruntergekommen wirkte. »Die Geschäfte sind im Moment wohl ziemlich mau, was?«
»Selbst wenn sie besser liefen, ich wäre sowieso bald bankrott«, gab Jūmonji offen zu und deutete mit dem Finger auf den Aktenschrank: »Da drin finden Sie alles, was ich über Kuniko habe. Bitte, bedienen Sie sich, obwohl mir nicht klar ist, was Sie damit anstellen wollen...«
Masako sah im Aktenschrank nach. Wie sie erwartet hatte, war Jūmonjis Kundschaft nicht groß: unter J gab es nur drei Personen. Sie zog das in seiner schludrigen Handschrift gekritzelte Protokoll über Kunikos Kreditsituation heraus und überflog es rasch, auf der Suche nach irgendetwas, das möglichst große Probleme bei Zahlungsverzug versprach.
»Jetzt verraten Sie mir doch, was Sie damit anstellen wollen, Frau Katori«, wiederholte Jūmonji. Sein Interesse schien geweckt; er zog die an Kragen und Ellbogen speckig gewordene Wildlederjacke aus und stand im schwarzen Rollkragenpulli da.
»Ich suche etwas, das ich gebrauchen kann.«
»Wenn Sie mir jetzt noch sagen würden, wozu...?«
»Ich will Satake das Leben schwer machen«, antwortete Masako, und Jūmonji
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