Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
halten und bahnte sich einen Weg nach draußen; er besaß die wilde, unbändige Zerstörungskraft eines reißenden Stroms, der über die Ufer trat und alles mit sich fortschwemmte. Gleichzeitig jedoch blieb Satake in der Lage, mit kühlem Kopf daran zu denken, dass ihn dieses Gefühl, sollte es noch heftiger werden, in den Wahnsinn treiben würde.
In der Einkaufsstraße waren die nagelneuen Gebäude klapprig dünn wie Attrappen und sahen allesamt gleich aus, die alten wirkten düster, verdreckt und heruntergekommen. Mit hängenden Schultern und übler Laune lief Satake durch die abgewirtschafteten Geschäftsarkaden. Er verspürte Hunger, hatte aber keine Lust zu essen. Auch heute Abend würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als Kunikos Golf auf dem Fabrikparkplatz abzustellen und auf Masako Katori zu warten.
Er kehrte zum Parkplatz des Supermarkts mit der Tierhandlung zurück und öffnete die Tür des grünen Golfs. Darin war noch alles so, wie Kuniko es hinterlassen hatte: Überall lagen Musikkassetten, Schuhe und anderer Kram herum. Hasserfüllt starrte er auf die ausgetretenen Ballerinas, die auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lagen und ihn an Kuniko erinnerten. Nur den Aschenbecher füllten jetzt die akribisch ausgedrückten Zigarettenstummel seiner eigenen Marke.
Wenn er weiter so durch die Straßen fuhr, würde er vielleicht irgendwann auf Masako treffen. Er freute sich schon auf das Gesicht, das sie dann machen würde. Wenn sie nicht mehr zur Fabrik kam, blieb ihm keine andere Wahl, als sie auf diese Weise aufzuspüren. Von ganzem Herzen verschrieb er sich dem Tanz auf dem Vulkan.
Masakos Gesichtsausdruck kam ihm wieder in den Sinn, als sie in ihrem Corolla auf den Fabrikparkplatz gefahren war und Kunikos Golf bemerkt hatte. Ihre Züge waren erstarrt, um bald darauf ausdruckslos zu werden, so als sei nichts geschehen. Nur die zusammengepressten Lippen hatten sich vor Angst verzerrt. Vom Wachhäuschen aus entging Satake nichts von dieser sekundenschnellen Verwandlung. Dann war Masako ausgestiegen und um
den Golf herumgegangen. Dass er Kunikos Parkweise genau nachgeahmt hatte, musste sie noch mehr entsetzt haben. Wie zum Beweis dafür konnte sie das Zittern in der Stimme kaum verbergen, als sie zu ihm kam, um ihn auszufragen. Wunderbar, das geschah ihr recht! Satake erinnerte sich an den Klang ihrer Stimme und lachte tonlos auf. Aber sie sollte sich nicht so einfach einschüchtern lassen, bloß das nicht! Angst haben konnte sie ruhig, aber sie sollte bitte nicht anfangen, unterwürfig um Mitleid zu heischen! Satake dachte an den Shiba-Hund aus der Tierhandlung und an Kuniko, die so kläglich und plump um ihr Leben gewinselt hatte. Angewidert warf er Kunikos Schuhe aus dem Autofenster. Beim Aufschlagen sprangen sie rechts und links auseinander, bevor sie auf dem schmierigen, fleckigen Betonboden liegen blieben.
Er stellte den Golf auf Kunikos Parkplatz ab und wollte gerade die Autotür abschließen, als eine junge Frau auf ihn zugelaufen kam, die ihm offenbar aufgelauert hatte. Er kannte sie nicht, aber ihrer Aufmachung nach zu urteilen – Schlappen an den Füßen und eine Schürze umgebunden – musste es sich um eine Mitbewohnerin der Mietskaserne handeln. Sie trug nicht den Hauch von Make-up, hatte aber ihren dauergewellten Wuschelkopf mit Wet Gel bearbeitet, was ihn über ihrem Gesicht schweben ließ wie eine Perücke. Satake hasste diese Art von Unausgewogenheit.
»Kennen Sie zufällig Frau Jōnouchi, der dieses Auto gehört?«
»Natürlich kenne ich sie! Ich habe mir schließlich ihren Wagen ausgeliehen!« Satake spielte den Unschuldigen. Er hatte damit rechnen müssen, dass ihm früher oder später solche Fragen gestellt würden, wenn er mit dem Auto Kunikos in der Mietskaserne ein- und ausfuhr.
»So habe ich das doch nicht gemeint«, beteuerte die Frau errötend, als könne sie sich schon vorstellen, in welcher Beziehung Satake zu Kuniko stand. »Ich wollte mich nur erkundigen, was mit ihr los ist, da ich sie so lange nicht mehr gesehen habe.«
»Tja, wo sie genau hin ist, weiß ich leider auch nicht.«
»Aber Sie haben sich doch ihren Wagen ausgeliehen...« Die Frau sah Satake an, als wolle sie noch hinzufügen: ›Wenn das nicht verdächtig ist!‹
»Ja, schon. Sehen Sie, ich arbeite als Wächter in der Lunchpaket-Fabrik.
Als wir zufällig festgestellt haben, dass wir im selben Mietshaus wohnen, hat sie mir freundlicherweise angeboten, ihr Auto zu nutzen, solange sie fort ist«,
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