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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natsuo Kirino
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Als sie die Magengrube erreichten, wurde Yayoi erneut von einer Welle atemberaubenden Schmerzes gepackt, die sie auf die Knie zwang; sie krümmte sich auf den Tatami. Es tat weh, einfach nur weh, egal ob ein Lufthauch über die Stelle strich oder Tränen dort entlangrannen. Nichts und niemand konnte diesen Schmerz lindern.
    Die beiden Kinder, die in ihren kleinen Futons schliefen, schienen etwas davon mitbekommen zu haben, denn sie wurden unruhig. Hastig stand Yayoi auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und wickelte sich rasch in ein Badetuch. Die Kinder durften den Fleck auf keinen Fall zu Gesicht bekommen. Und auch nicht, dass ihre Mutter weinte.
    Mit diesem Gedanken überkam sie ein brennendes Gefühl der Verlassenheit, in dieser schrecklichen Welt ganz auf sich gestellt zu sein und mit der unerhörten Behandlung durch ihren Mann alleine fertig werden zu müssen. Wieder füllten sich Yayois Augen mit Tränen. Am unerträglichsten für sie war, ausgerechnet von dem Menschen so bitter verletzt zu werden, der ihr am nächsten stand. Wie sollte sie jemals aus dieser Hölle entkommen? Sie wusste es nicht. Sie kämpfte mit dem Impuls, laut aufschluchzen zu wollen wie ein kleines Kind.
    Ihr fünfjähriger ältester Sohn runzelte schlaftrunken die Stirn und warf sich auf die andere Seite. Davon angesteckt drehte sich sein dreijähriger kleiner Bruder auf den Rücken. Wenn die
Kinder jetzt aufwachten, konnte sie nicht zur Arbeit. Auf allen vieren kroch Yayoi vom Spiegel weg aus dem Schlafzimmer. Behutsam, um ja kein Geräusch zu machen, zog sie die Schiebetür hinter sich zu, betete, dass die Jungen ruhig weiterschliefen, und löschte das Licht.
    Leise schlich sie sich ins Wohnzimmer mit der angrenzenden winzigen Küche und suchte aus dem Berg frisch gewaschener Wäsche, die, noch gefaltet und in Stapeln zusammengelegt, auf dem Esstisch lag, Unterwäsche für sich heraus. Eine schlichte Unterhose und einen schmucklosen BH – billiges Zeug, das sie im Supermarkt im Angebot gekauft hatte. Als sie noch alleine lebte, hatte sie sich nur schöne Dessous mit Spitze gekauft, fiel ihr ein. Weil Kenji das so mochte.
    Damals hätte sie sich niemals träumen lassen, was aus ihnen einmal werden würde: ein hirnloser Ehemann, der den Kopf wegen einer anderen Frau verlor, die für ihn unerreichbar war, und eine Ehefrau, die diesen Mann hasste – zwei Königskinder auf entgegengesetzten Ufern, getrennt durch ein tiefes, schwarzes Wasser. Und sie konnten auch nie wieder zusammenkommen. Denn Yayoi würde Kenji niemals verzeihen.
    Auch heute würde er wohl wieder nicht nach Hause kommen, bis sie zur Arbeit musste. Sie hatte schon jetzt eine Heidenangst davor, die Kinder mit der Ungewissheit alleine zu lassen, ob ihr unzuverlässiger Mann nicht allzu spät heimkäme.
    Außerdem brachte Kenji schon seit drei Monaten kein Gehalt mehr nach Hause. Mit Mühe und Not hielt sie sich und die beiden Kinder mit dem bisschen Geld von der Nachtschicht über Wasser.
    Was für ein Leben!
    Ein verschlagener Ehemann, der sich ins Haus schlich und im Futon verkroch, während sie auf Nachtschicht war. Die unendlichen, immer gleichen Wortgefechte am Morgen, wenn sie kaputt von der Arbeit nach Hause kam. Die kalten, stechenden Blicke, die sie einander zuwarfen. Wie leid sie das alles war! Yayoi stieß einen tiefen Seufzer aus und beugte sich vor, um in die Unterhose zu steigen. Sofort spürte sie den stechenden Schmerz in der Magengrube. Unwillkürlich schrie sie auf. Milky, die Hauskatze, die sich auf dem Sofa zusammengerollt hatte, hob den Kopf, spitzte die Ohren und sah Yayoi an. Gestern Nacht hatte sie sich vor Angst
unters Sofa verkrochen und einen langen, dünnen Klagelaut ausgestoßen.
    Das Blut wich aus Yayois Gesicht, als sie sich daran erinnerte. Eine Welle aus Hass und Zorn, die dunkelsten aller Gefühle, überflutete sie. Niemals zuvor hatte sie so für einen anderen Menschen empfunden. Yayoi stammte aus einer Kleinstadt und hatte als einzige Tochter einfacher, aber liebevoller Eltern eine sorgenfreie Kindheit gehabt.
    Nachdem sie das College in Yamanashi absolviert hatte, war sie nach Tōkyō gekommen und hatte eine Stelle als Vertriebsassistentin bei einem Fliesenhersteller angenommen. Die hübsche, liebens würdige Yayoi wurde von den männlichen Angestellten der Firma verehrt und auf Händen getragen. Wenn sie jetzt daran zurückdachte, war diese Zeit der Höhepunkt ihres Lebens gewesen. Damals hätte sie jeden haben können, aber

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