Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
den Boden auf und stemmte mit dem rechten Kenjis Schulter nach vorne. Tief aus seiner Kehle drangen jetzt Laute wie das Quaken eines Frosches. Ein herrliches Gefühl! Sie wunderte sich selbst maßlos, woher sie die tobende Raserei, die brutale Grausamkeit nahm, die irgendwo in ihr geschlummert haben musste, aber eines stand fest: Sie auszukosten war ein unendlich erfrischendes, befreiendes Gefühl.
Kenji war am Ende. Die Schuhe immer noch an den Füßen, hingen seine Beine von den Knien abwärts auf den Betonboden des Eingangsbereichs herunter, sein Hintern thronte plump auf dem Absatz, sein Kopf ragte verdreht in die Luft.
»Nein, ich verzeih dir nicht, noch lange nicht!«, entfuhr es ihr. Yayoi zog noch einmal fester zu. Soll er doch verrecken, hier, auf der Stelle, dachte sie, aber das gab ihr Gefühl nur unzureichend wider: Sie wollte sein Gesicht nicht mehr sehen, sie wollte sein Gefasel nicht mehr hören – das war es, was sie sich von ganzem Herzen wünschte.
Wie viele Minuten waren verstrichen? Kenji lag auf dem Rücken
und rührte sich nicht mehr. Yayoi legte die Hand an seinen Hals, um nach dem Puls zu fühlen. Nichts. Vorne an seiner Hose war ein nasser Fleck, wahrscheinlich hatte er den Urin nicht bei sich halten können. Yayoi lachte.
» Du hättest lieber nett zu mir sein sollen!«
Sie wusste nicht, wie lange sie dort neben ihm sitzen geblieben war. Erst das leise Miauen von Milky brachte sie wieder zur Besinnung.
»Ich hab ihn umgebracht, Milky, was mach ich jetzt?«, murmelte sie, und die weiße Katze stieß einen klagenden Laut aus. Auch Yayoi schrie kurz auf. Sie hatte etwas getan, was nicht rückgängig zu machen war. Aber sie bereute es nicht, kein bisschen. Es ist gut, es ist gut so, ich konnte nicht anders, es war das einzig Richtige, flüsterte sie sich selbst immer wieder zu.
Sie ging ins Wohnzimmer zurück und schaute in aller Seelenruhe auf die Uhr an der Wand. Genau elf. Zeit, zur Arbeit zu gehen. Sie rief bei Masako zu Hause an.
»Katori.«
Masako selbst, zum Glück. Yayoi atmete tief ein und begann: »Ich bin’s, Yayoi Yamamoto.«
»Ach,Yama-chan! Was ist – kommst du heute nicht zur Arbeit?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Wieso?«, fragte Masako, und in ihrem Ton schwang so etwas wie Sorge mit. »Ist etwas passiert?«
»Ja. Ich...«, begann Yayoi und antwortete dann entschlossen: »Ich hab ihn umgebracht.«
Nach kurzem Schweigen hörte sie Masako leise sagen: »Ist das auch wirklich wahr?«
»Ja, es ist die Wahrheit. Ich hab ihn gerade erwürgt.«
Masako schwieg wieder. Diesmal lange, es gab eine Pause von ungefähr dreißig Sekunden, doch Yayoi konnte spüren, dass sie nicht erschrocken war, sondern nachdachte. Wie zum Beweis dafür erwiderte Masako endlich mit noch leiserer Stimme als zuvor: »Und – was möchtest du tun?«
Im ersten Moment verstand Yayoi die Bedeutung der Frage nicht und blieb stumm. Masako fuhr fort: »Ich meine, kannst du mir nicht sagen, was du jetzt am liebsten machen würdest? Ich werde dir dabei helfen.«
»Ich? Ich will einfach so weiterleben wie bisher. Die Kinder sind ja auch noch klein, und...« In diesem Moment, als die Wirklichkeit sie wieder einholte, kamen ihr doch noch die Tränen.
Masako unterbrach sie: »Ja, verstehe. Ich komme sofort zu dir nach Hause. Hat von der Sache auch niemand etwas mitbekommen?«
»Ich weiß nicht...«, antwortete sie und grübelte nach, bis ihr Blick auf Milky fiel, die sich wieder unter dem Sofa verkrochen hatte. »Nur die Katze.«
»So, so, die Katze.« Der Hauch eines Lächelns hatte sich in Masakos freundlichen Tonfall geschlichen. »Warte auf mich, hörst du?«
»Ja, danke.« Yayoi legte den Hörer auf und hockte sich dort, wo sie war, auf den Boden. Ihre angezogenen Knie stießen an die Magengrube, aber sie spürte schon keinen Schmerz mehr.
6
Als sie aufgelegt hatte, sah sie die Schrift auf dem Kalender, der vor ihr an der Wand hing, doppelt. Es war das erste Mal, dass ihr vor Schock schwindelig wurde.
Sicher,Yayois Zustand gestern Nacht hatte ihr Sorgen gemacht, aber sie hatte ihre Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten stecken wollen. Und doch war sie gerade dabei,Yayoi die helfende Hand entgegenzustrecken. Ob das auch wirklich richtig war? Masako hielt sich an der Wand fest und wartete, bis ihre Augen wieder scharf sahen; dann drehte sie sich um, um zu schauen, ob jemand in der Nähe war.
Ihr Sohn Nobuki, der bis vorhin noch auf dem Sofa im Wohnzimmer
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