Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
blieb Yayoi am Boden liegen. Aus dem Bad, in das Kenji verschwunden war, hörte sie lautes Wasserrauschen.
Als sie endlich wieder zu Atem kam, hob sie mit ihrer schaumigen Hand – offenbar hatte sie die ganze Zeit den Spülschwamm umklammert – ihr T-Shirt an. In ihrer Magengrube sah man deutlich den blauschwarz verfärbten Fleck. Er kam ihr vor wie der Stempel, der das Ende ihrer Ehe besiegelte, und sie atmete tief aus. Da ging die Schiebetür zum Schlafzimmer auf und Takashi, ihr ältester Sohn, schaute sie ängstlich an.
»Mama, was ist?«
»Nichts, ich bin bloß hingefallen. Alles in Ordnung, geh schnell wieder ins Bett, ja?« Sie war froh, die Worte hervorbringen zu können. Takashi schien die Situation irgendwie erfasst zu haben und schob stumm die Schiebetür wieder zu. Sie wusste sofort, dass er sich um sein schlafendes Brüderchen sorgte. Wenn selbst so ein kleiner Junge schon Rücksicht auf andere nehmen konnte, wie war es dann möglich, dass ein erwachsener Mann wie Kenji sich derart daneben benahm? Er hatte sich vollkommen verändert. Oder war er immer schon so gewesen?
Yayoi presste die Hand auf die Magengrube und schaffte es irgendwie, sich an den Esstisch zu setzen. Sie verbiss sich den Schmerz und konzentrierte sich darauf, langsam und regelmäßig ein- und auszuatmen. Aus dem Bad hörte sie ein Poltern – Kenji hatte offenbar gegen die Plastikschüssel getreten. Yayoi grinste verbittert und vergrub ihr Gesicht in beide Hände. Mehr noch als die Wut hatte sie das Elend der Frage niedergestreckt, warum sie bloß mit so einem Mann zusammenlebte.
Als sie aus ihren Gedanken erwachte, merkte sie, dass sie immer noch in Unterwäsche war. Sie zog sich ein Poloshirt über den Kopf und stieg in ihre Jeans. Die Hose hing ihr auf den Hüftknochen, da sie in letzter Zeit drastisch abgenommen hatte. Yayoi suchte sich einen Gürtel heraus.
Sie hatte nur noch wenig Zeit, bis sie aufbrechen musste. Sie wollte nicht in die Fabrik, aber wenn sie heute Nacht nicht zur Schicht erschien, würden Masako und die Meisterin sich Sorgen machen. Masako. Diese Frau übersah nichts, sie merkte einem jede Veränderung sofort an. Einerseits machte ihr das Angst, andererseits verspürte sie den unwiderstehlichen Drang, ihr alles zu sagen. Warum bloß? Man konnte ihr trauen. Wenn es jemanden gab, auf den sie sich in der Not verlassen konnte, dann war das Masako. Dieser Hoffnungsschimmer am Horizont machte Yayoi Mut und spornte sie an.
Sie hörte ein Geräusch an der Haustür. Kenji? Einen Moment lang stand sie still und horchte – nichts, er erschien auch nicht im Wohnzimmer. Ein Fremder, der einfach eingedrungen war? Sie rannte in die Diele.
Kenji saß auf dem Absatz, ihr den Rücken zugewandt. Mit hängenden Schultern starrte er vor sich auf den Betonboden. Sein Hemd war hinten schmutzig. Er schien sie gar nicht wahrzunehmen, denn er rührte sich nicht. Yayoi erinnerte sich an den gestrigen Abend, und plötzlich wallte Hass in ihr auf.
Sollte er doch für immer wegbleiben, sie wollte ihn sowieso nie mehr wieder sehen!
»Ach, du...« Kenji drehte sich kurz zu ihr um. »Wieso bist du noch nicht weg?«
Ob er sich geprügelt hatte? Seine Lippe war geschwollen und
blutete. Doch Yayoi schwieg still und blieb wie angewurzelt stehen. Sie wusste nicht, wie sie den reißenden Strom des Hasses in ihrem Innern unter Kontrolle bringen sollte.
Da murmelte Kenji: »Was glotzt du so! Manchmal könntest du ruhig ein bisschen nett zu mir sein!«
In dem Augenblick machte es ratsch – und Yayois Geduldsfaden riss. In einer Geschwindigkeit, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte, hatte sie sich den Ledergürtel von der Hose gezogen und Kenji um den Hals gelegt.
»Hey...?« Überrascht versuchte Kenji, sich zu ihr umzuschauen. Yayoi zog den Gürtel schräg nach hinten auf sich zu.
»Oh, aah, ah...« Kenji versuchte, den Gürtel zu greifen, aber das Leder hatte sich schon so tief in seinen Hals gefressen, dass er die Finger nicht mehr dazwischen bekam.Yayoi sah nüchtern zu, wie Kenji hektisch daran herumkratzte. Dann zog sie mit verstärkter Kraft rückwärts. Es war lustig anzuschauen, wie Kenjis Hals sich nach hinten dehnte und seine Hände, die schon aufgegeben hatten, nach dem Gürtel zu greifen, vergeblich in der Luft ruderten. Er müsste noch viel mehr leiden. So ein Mann hatte es gar nicht verdient, auf der Welt zu sein, sie wollte ihn nicht mehr da haben. Yayoi setzte ihren noch nackten linken Fuß fest auf
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