Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
machen?«
»Warten Sie doch erst einmal ab bis heute Abend, Frau Yamamoto.
Wenn er sich bis dahin immer noch nicht gemeldet hat, wäre es vielleicht doch besser, eine Vermisstenanzeige aufzugeben.«
»Wo macht man das denn? Bei der Polizeiwache hier im Viertel?«
»Nein, ich glaube kaum, dass diese kleinen Dienststellen für so etwas zuständig sind. Machen wir es doch so: Ich werde mich hier einmal erkundigen, und Sie bleiben zu Hause und warten, bis ich mich wieder melde. Machen Sie sich nicht so viele Sorgen, Frau Yamamoto, es wird sich sicher bald alles aufklären. Männer machen manchmal dumme Sachen, er wird schon nicht gleich spurlos verschwunden sein.«
Hirosawa hatte aufgelegt. Plötzlich war alles so still im Zimmer, und Yayoi sah sich darin um, bis ihr auffiel, dass es draußen endlich zu regnen aufgehört hatte. Auf einmal spürte sie ihren leeren Magen. Sie hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen. Es war noch Reis im Reiskocher, und sie machte ihn sich zusammen mit den Resten vom Frühstück der Kinder zurecht, doch als sie das Essen vor sich stehen sah, konnte sie nichts herunterbringen. Während sie noch mit ihren Stäbchen darin herumstocherte, klingelte wieder das Telefon.
»Frau Yamamoto? Hier ist noch einmal Hirosawa.«
»Haben Sie etwas herausfinden können?«
»Wir hier in der Firma glauben, dass Sie erst einmal bis morgen früh abwarten sollten, was denken Sie?«
»Meinen Sie wirklich?«, seufzte Yayoi. »Weil es zu peinlich wäre, alle Welt unnötig in Aufregung zu versetzen?«
»Nein, das nicht, wir halten es im Moment nur für das Beste. Falls er bis morgen früh nicht nach Hause gekommen ist, sollten Sie die Polizei verständigen, denn es wäre ja schlimmstenfalls möglich, dass er einen Unfall hatte.«
»Die Polizei?«
»Ja, den Notruf 110.«
Das bedeutete, sie würde die Angelegenheit morgen Vormittag bei der Polizei melden müssen. Denn Kenji würde auf keinen Fall nach Hause kommen.
»Aber ich mache mir solche Sorgen! Ich rufe lieber schon heute Abend an.«
»Bei der Polizei?«
»Ja. Stellen Sie sich vor, er hatte wirklich einen Unfall, dann liegt der Arme jetzt vielleicht alleine in irgendeinem Krankenhaus! Nein, es lässt mir einfach keine Ruhe, so etwas ist schließlich noch nie vorgekommen!«
»Nun ja, wenn Sie sich dabei wohler fühlen, ist es sicher besser so. Aber vielleicht steht er ja schon bald mit schuldbewusstem Gesicht vor der Tür!«
Das wird er nicht, nie mehr – worauf du dich verlassen kannst!, entgegnete sie Hirosawa im Stillen und beschloss, noch im Laufe des Tages bei der Polizei anzurufen. Denn das würde den Eindruck verstärken, das Verschwinden ihres Mannes hätte sie wirklich aus der Fassung gebracht. Auf einmal konnte Yayoi kühl kalkulieren.
Kurz nach vier, als sie gerade das Haus verlassen wollte, um die Kinder im Hort abzuholen, klingelte wieder das Telefon.
Eine leise Stimme sagte schroff: »Ich bin’s.« Es war Masako.
In das Gefühl der Erleichterung mischte sich die Sorge, dass etwas schief gegangen sein könnte, und Yayoi fragte ängstlich: »Gut, dass du dich meldest. Wie ist es gelaufen?«
»Alles erledigt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die Situation hat sich nur ein wenig geändert.«
»Inwiefern?«
»Die Meisterin und Kuniko haben mir geholfen.«
Yayoi war darauf gefasst gewesen, dass Masako Yoshië einweihen würde, aber dass auch Kuniko mitgeholfen hatte, traf sie völlig unvorbereitet. In der Fabrik waren sie gute Kolleginnen, ja, aber sie traute der geltungssüchtigen Kuniko einfach nicht über den Weg. Plötzlich bekam Yayoi Angst.
»Kuniko? Meinst du wirklich, sie ist in Ordnung? Wird sie nicht reden?«
»Genau darum geht es. Sie stand plötzlich vor der Tür und hat uns mitten bei der Arbeit erwischt. Dann ist mir klar geworden, dass sie sowieso schon zu viel weiß: Sie hat mitbekommen, dass du von deinem Mann in den Bauch geschlagen wurdest und dass er euer ganzes Geld beim Bakkarat verspielt hat. Das heißt, wenn sie das der Polizei erzählt, wirst du ohnehin verdächtigt.«
Genau so ist es, dachte Yayoi und erblasste. Man brauchte nur die einzelnen Fäden zu entwirren, und alles würde nach und nach wie von selbst ans Tageslicht kommen. Aber vorgestern Nacht, als sie den anderen in der Fabrik davon erzählt hatte, hatte sie ja im Traum noch nicht daran gedacht, Kenji umzubringen – daran war nun nichts mehr zu ändern. Masako hatte Recht, es war genau, wie sie gesagt hatte. Auf sie war
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