Die Un-Heilige Schrift
Tempels) hergebracht wurden. Sollte in Qumran doch eine Schreibwerkstatt am Werk gewesen sein, die Auftragsarbeiten erledigte (immerhin werden an die 500 verschiedenen Verfasser für die Schriftrollen angenommen), so sagte dies nichts darüber aus, ob die niedergeschriebenen Texte auch gelebt wurden oder eben einfach nur aufgeschrieben. Es ist unmöglich, den Schreiber genau zu bestimmen – und noch unmöglicher zu sagen, ob dieser Schreiber auch der Autor war.
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Das Dach des "Schreins des Buches" in Jerusalem ist den Deckeln der Tonkrüge in den Qumran-Höhlen nachempfunden. Foto: Berthold Werner
Wenn es nicht möglich ist, hinter die historische Bedeutung von Rollen und Siedlung zu kommen, wäre es vielleicht angezeigt, die Diskussion wieder auf den eigentlichen Gegenstand der Aufregung zu bringen: die Schriftrollen bzw. deren Inhalt.
Ort und Zeit des Fundes haben für sich genommen bereits enorme symbolische Bedeutung: Die Rollen bewiesen die jahrtausendealte jüdische Siedlungsgeschichte in Israel, dem gerade gegründeten Staat, in einem seit jeher zwischen Juden, Christen und Muslimen umkämpften Gebiet. Nicht wenige empfanden die Schriftrollen als etwas wie eine göttliche Bestätigung für die Richtigkeit ihrer zionistischen Ideale.
Nüchterner und rein inhaltlich betrachtet lassen sich spektakuläre neue Erkenntnisse kaum finden. Der mit Abstand besterhaltene Fund, die im „Schrein des Buches“ in Jerusalem aufbewahrte Jesaja-Rolle, misst erstaunliche 7,24 Meter und gibt beinahe lückenlos den aus dem Alten Testament bekannten Text des Propheten Jesaja wieder. Ein Fund, der der bislang ältesten Abschrift dieses Textes gleich um 1.000 Jahre vorausgeht – die Jesaja-Rolle ist die älteste existierende Bibelhandschrift der Welt und natürlich eine Sensation. Inhaltlich Neues fand sich indes nicht: Der bis auf ganz wenige unwesentliche Details wortidente Text belegt die erstaunliche Genauigkeit, mit der Bibeltexte durch die Jahrhunderte kopiert worden sind.
Andere historische Erkenntnisse durch Qumran-Funde erweisen sich ebenso als von eher akademischem Interesse:
Den hebräischen Urtext des um 190 v. Chr. entstandenen Weisheitsbuches des Jesus Sirach kannte man seit Anfang unseres Jahrhunderts weitgehend bereits durch mittelalterliche Kopien aus der Karäer-Synagoge in Kairo. Doch gibt es in diesen karäischen Handschriften mancherlei Unterschiede gegenüber dem Septuaginta- und Vulgata-Text dieses Buches, und man wusste nie, ob man diese Unterschiede der Freiheit des griechischen Übersetzers – immerhin eines Enkels des Autors – oder Irrtümern in einer langen Kopistenkette zuschreiben sollte. (Hartmut Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, S. 111.)
Nach entsprechenden Qumran-Funden sei folgender Schluss zulässig:
Die mittelalterlichen Sirach-Kopien sind also fast so gut wie unmittelbare Qumran-Funde, was man ohne diese selbst freilich nie hätte wissen können. (Hartmut Stegemann, ebd.)
Immerhin: Die Popularität des Buches Henoch konnte bewiesen werden – Fragmente von nicht weniger als 11 Kopien dieses apokalyptischen Werkes wurden identifiziert. Das ist für eine Zeit, in der zur Vervielfältigung lediglich die Abschrift möglich war, eine sehr hohe Zahl.
Qumran und der Mangel an Erkenntnis
Die Implikationen für das historische Bild des Rabbinertums sind für Interessierte an dieser speziellen Materie sicher bedeutsam; das Thema dieses Buches, die apokryphen Schriften, wird davon jedoch allenfalls gestreift – und dies nur im Bezug auf das Alte Testament.
Das berühmte Papyrus-Fragment 7Q 5.
Aufgrund der fast durchgängig anerkannten Datierung der Schriftfunde in vorchristlicher Zeit sind allzu viele neue Erkenntnisse zu neutestamentarischen Themen nie zu erwarten gewesen, schon gar nicht in einem Ausmaß, wie in der „Verschlusssache Jesus“ angedeutet. Tatsächlich lassen sich seit Qumran einige wenige essenische Einflüsse auf die christliche Lehre besser zuordnen – nicht mehr und nicht weniger. Mit welcher Gier man sich dennoch oder gerade deshalb auf buchstäblich jedes Zipfelchen Hoffnung stürzt, die Qumran-Funde könnten womöglich doch bahnbrechende neue Erkenntnisse über Jesus Lebenszeiten erbringen, soll zum Ende dieses Kapitels das Beispiel eines angeblichen Markus-Evangeliums illustrieren:
Der Fund 7Q 5, d. h. also das aus Qumran-Höhle 7 stammende Fragment mit Laufnummer 5, sei dieser Theorie zufolge Teil eines
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