Die Un-Heilige Schrift
Hammadi Codices“ unter der Leitung von Robinson. 1977 fanden die Arbeiten ihren Abschluss mit der Veröffentlichung der „Nag Hammadi Library in English“.
Typische urchristliche Darstellung von Jesus als dem guten Hirten. 4. Jh., Museo Epigrafico, Rom. Foto: Kleuske
Währenddessen war auch eine Faksimile-Ausgabe in 12 Bänden herausgekommen, die es allen Interessierten ermöglichte, an die Originaltexte heranzukommen. Zu diesen zählte auch der in der ehemaligen DDR angesiedelte Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften, der sich unter der Leitung von Hans-Martin Schenke der Texte annahm und bis 1989 laufend einzelne Übersetzungen vorlegte. Seine Gesamtübersetzung kam 2001 unter dem Titel „Nag Hammadi deutsch“ heraus und gilt als Standardwerk.
Gerd Lüdemann und Martina Janßen kamen der von Schenke geleiteten Arbeitsgruppe mit ihrer „Bibel der Häretiker“ allerdings zuvor, offenbar von der laschen Arbeitsmoral im Westen angetrieben:
Die hervorragende Leistung des Berliner Arbeitskreises stand in keinem Verhältnis zu den gut ausgestatteten theologischen und philologischen Lehrstühlen in den alten Bundesländern, deren Inhaber sich trotz reichlich fließender Mittel offensichtlich nicht in der Lage sahen, eine Gesamtübersetzung der Nag-Hammadi-Texte zu einem früheren Zeitpunkt vorzulegen.
Im englischen Sprachraum gingen die Übersetzungen mittlerweile bereits in die dritte und vierte Taschenbuch-Auflage; wie Robinson geschrieben hatte, war ein Stadium der Nag-Hammadi-Forschung zu Ende gegangen, um den Beginn eines neuen zu ermöglichen. Dieses neue Stadium ist gekennzeichnet durch das Durchsickern der gnostischen Inhalte in breite Publikumsschichten – ein Prozess, der im englischen Sprachraum immerhin bereits zwei Jahrzehnte im Gange war, bevor die Deutsch sprechende Bevölkerung überhaupt eine erste Chance bekam, sich mit den Inhalten von Nag Hammadi zu befassen.
Nur zwei Jahre nach dem Erscheinen der ersten deutschsprachigen Gesamtübersetzung war das Thema bereits reif für Hollywood: 1999 erschien der Mystery-Horrorstreifen „Stigmata“, in dem eine junge New Yorkerin auf brutalste Weise zur Übermittlung einer Botschaft missbraucht wird, die nicht nur den Wissenschaftler und Priester, der ihr beisteht, an den Fundamenten seines Glaubens zweifeln lässt.
Die Grundlage für die ketzerischen Aussagen in „Stigmata“ bildete ein Text, der mittlerweile zu einer Art Synonym für Nag-Hammadi-Schriften geworden ist:
Das Thomasevangelium
Das Thomasevangelium war, wie sich herausstellte, zum Teil bereits bekannt: Drei der Papyri aus Oxyrhynchos in Ägypten, die im 19. Jh. entdeckt worden waren, enthalten Teile des Textes, wie jetzt erkannt wurde. Da diese Papyri in das 2. Jh. zu datieren sind, war sofort klar, dass mit dieser Schrift ein sehr alter Text vorlag.
Ausgrabungen bei Oxyrhynchos, 1903. Arbeiter sammeln winzige Papyrusfragmente in Körben.
Die „genaue“ Entstehungszeit (nach beinahe 2.000 Jahren ist dieser Begriff mit Vorsicht zu genießen) wird sich vermutlich nie mit endgültiger Sicherheit bestimmen lassen; ein Grund mehr, dass um genau diese Frage eine heftige, seit Jahren andauernde Debatte entbrannt ist. Grundlage der Diskussion ist der Inhalt der Schrift (der Fund von Nag Hammadi war ja, wie erwähnt, im 4. Jh. anzusiedeln und stellte sich als koptische Übersetzung eines griechischen Textes heraus, der durch die Papyri Oxyrhynchos im 2. Jh. angesiedelt werden konnte. Dieser griechische Text war aber wiederum eine Übersetzung aus einem aramäischen oder hebräischen Urtext, von dem leider keinerlei Kopie vorrätig ist …)
Wie alt und damit "echt Jesus" ist das Thomasevangelium?
In der inhaltlichen Debatte ging es in erster Linie darum, ob die gesammelten Sprüche im EvTh in Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von den synoptischen Evangelien (jene von Markus, Matthäus und Lukas) niedergeschrieben wurden. Dazu ist zu bemerken, dass sich für gut die Hälfte des Textes Parallelen bis Übereinstimmungen in diesen Evangelien festmachen lassen – die andere Hälfte aber sonst nirgends zu finden ist. Lüdemann/Janßen meinen dazu:
Sowohl für die Abhängigkeit als auch für die Unabhängigkeit haben sich viele Fürsprecher gefunden; es scheint sich jedoch mittlerweile die These von der Unabhängigkeit des EvTh durchzusetzen. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass das EvTh unbekannte „echte Jesusworte“ bewahrt hat, die keinen Eingang in die
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