Die Un-Heilige Schrift
bereits 50 n. Chr. entstandenen Markus-Evangeliums.
Der Text wäre damit nicht weniger als 20 Jahre vor der generell angenommenen Entstehungszeit des ersten der Evangelien niedergeschrieben worden und der älteste schriftliche Beleg für das Christentum überhaupt. Noch einmal Hartmut Stegemann:
Das entsprechende Fragment 7Q 5 hat die Größe eines Fünfmarkstücks und bietet Reste von fünf Schriftzeilen. Nur zehn Buchstaben sind vollständig erhalten, zehn weitere meist so fragmentarisch, dass die Schriftspuren zu mehr als nur einem Buchstaben des griechischen Alphabets passen. Die Verfechter der Markus-Hypothese identifizieren den Textbestand mit Wörtern aus Markus 6, 52–53. Sie geben selbst zu, dass in diesem Fall anstelle eines einwandfrei erhaltenen Buchstabens ein anderer zu erwarten wäre und drei ansonsten von allen Markus-Handschriften bezeugte Wörter ausgelassen sein müssten. (Stegemann, S. 387)
Wenige Jahre zuvor wurde ein anderer Handschriftenfund gemacht, der inhaltlich weitaus brisanter ausfiel, da sich darunter bisher unbekannte gnostische Evangelien befanden, die tatsächlich ein wesentlich neues Licht auf die Urzeiten des Christentums warfen: Nag Hammadi.
Nag Hammadi – Ketzerbibel?
Gegen Ende des Jahres 1945 stieß der ägyptische Bauer Muhammad Ali, gemeinsam mit Kollegen auf der Suche nach Sabakh, einem geschätzten natürlichen Düngemittel, auf einen großen, verschlossenen Tonkrug. Zunächst zögerten er und seine Kumpane, den Krug zu öffnen, hätte er doch einen Dschinn enthalten können. Schließlich überwog aber die Hoffnung auf Gold und Ali zerschlug das Gefäß.
Weder Gold noch Dschinn kam zum Vorschein. Stattdessen blickten die Bauern auf dreizehn ledergebundene Codices in unterschiedlichem Erhaltungszustand, die in koptischer Sprache abgefasste urchristliche Texte enthielten – was sie zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht ahnen konnten.
Die Ägypter kamen überein, den Fund Muhammad Ali zu überlassen, da sie ohnedies keinen unmittelbaren Wert in ihnen erkennen konnten. Ali brachte die kostbaren Schriften nach Hause, wo vermutlich der gesamte Codex XII ein Raub der Flammen wurde: Seiner Mutter waren die Schriften verdächtig vorgekommen.
Deshalb und weil Ali des Öfteren polizeiliche Hausdurchsuchungen aufgrund einer laufenden Blutfehde nach der Ermordung seines Vaters über sich ergehen lassen musste, brachte er die übrigen elf Codices (der heute mit Nummer XIII bezeichnete war irgendwo verloren gegangen) zu einem koptischen Priester. Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis die Bedeutung des Fundes erkannt wurde; nach der Ausverhandlung einer Aufwandsentschädigung in Höhe von 300 Pfund gingen die Codices von Nag Hammadi in den Besitz des ägyptischen Staates über und wurden dem koptischen Museum überantwortet, wo sie bis heute aufbewahrt werden.
Der als Codex I geführte Band und weitere Schriften waren allerdings über den Umweg eines Nachbarn von Ali und eines zypriotischen Antiquitätenhändlers zum Jung-Institut bzw. einer italienischen Sammlerin gelangt. Auch diese Schriften fanden letztendlich, wenn auch mit Jahren der Verzögerung, ihren Weg ins Koptenmuseum von Kairo.
Die eigentliche Erforschung konnte beginnen – und wie sich zeigen sollte, war doch so etwas wie ein Dschinn im Tonkrug gesessen. Der Geist eines frühen Christentums, der die etablierte Institution Kirche in einige Schwierigkeiten brachte.
Ein Fund von Bedeutung
Insgesamt 49 verschiedene Schriften wurden identifiziert; von der Mehrzahl hatte man bis Nag Hammadi noch nie etwas gehört, einige Schriften waren in Werken von Kirchenvätern apologetisch zitiert worden. D. h., Männer wie Origines oder Hippolyt zitierten aus gnostischer Literatur, um sie widerlegen zu können.
Übersichtskarte zum Fundort Nag Hammadi
Die Wissenschaft kam rasch darin überein, dass es sich bei den Codices um Übersetzungen aus dem Griechischen handelt. Datiert wurden die Schriften auf das 4. Jahrhundert nach Christus. Die heiklere Frage lautete jedoch: Welches Alter ist den griechischen Texten zuzuschreiben, die hier in koptischer Übersetzung vorlagen? Bei diesem Punkt begannen sofort die Differenzen: Je früher die Texte entstanden wären, desto näher wären sie bei Jesus, desto mehr apostolische Authentizität könnten sie für sich beanspruchen. Desto größer wäre der Erklärungsnotstand der Kirche, was mit diesen Texten geschehen sei und warum sie in keiner anerkannten Schrift mehr zu finden sind.
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