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Die Un-Heilige Schrift

Die Un-Heilige Schrift

Titel: Die Un-Heilige Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmuth Santler
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kanonischen Schriften gefunden haben. (S. 69)
    Reinhard Nordsieck, der dem gnostischen Evangelium ein ganzes Buch widmete, sieht das genauso. Er datiert die erste Niederschrift auf 100 bis 110 n. Chr und die Herkunft mancher Inhalte auf die Jahre 40–70, d. h. mitten in die apostolische Zeit hinein und deutlich vor dem Markusevangelium, dem frühesten der kanonischen Evangelien, dessen Entstehung überwiegend um 70 n. Chr. angenommen wird.
Früh-, Spät- und Extrem-Spät-Datierer
    Generell gibt es drei Lager: ein großes der Frühdatierer, die zumindest Teile des Evangeliums aus apostolischer Zeit stammend sehen (40–70); ein großes Lager der Spätdatierer, die eine Entstehungszeit nicht vor 100 annehmen (womit das EvTh zumindest nicht zum frühesten aller Evangelien würde), sowie eine kleine Gruppe von Extrem-Spätdatierern, die das Thomasevangelium nach sämtlichen kanonischen Evangelien ab 172 n. Chr. ansiedelt. Wissenschaftler der USA neigen eher zur Früh-, jene Europas zur Spätdatierung. Ausnahmen von dieser Regel sind möglich.
    Vom Verfasser des Evangeliums selbst wird selbstverständlich vollständige apostolische Authentizität beansprucht – in Form einer durch das Wort „geheim“ als gnostisch identifizierbaren Präambel:
    Dies sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus sagte; Didymos Judas Thomas hat sie aufgeschrieben.
    Diese knappen Worte sind der Prolog des Evangeliums und der gesamte „Handlungsrahmen“; was folgt ist eine Spruchsammlung. Die Wahl des Begriffes „Evangelium“ für diesen Text war deshalb nicht unumstritten, da er ja keinesfalls eine Erzählung über das Leben Jesu darstellt, ja überhaupt keine in sich fortlaufend verbundenen Elemente enthält. Sehr wohl ist es aber eine Verkündigung.
Das "Evangelium" des Thomas ist eine Spruchsammlung.
    „Didymos Judas Thomas“ war indes aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Verfasser der Schrift, sondern ihm wurde die Autorenschaft, wie es damals üblich war, lediglich zugeschrieben. Es dürfte damit der als „ungläubiger Thomas“ sprichwörtlich gewordene Apostel gemeint gewesen sein, was auf einen Ursprung der Schrift in Syrien hindeutet, wo es eine lebendige Thomastradition gab. Der Name ist übrigens eine seltsame Dublette: Didymos ist das griechische Wort für „Zwilling“ – und das aramäische „Thomas“ bedeutet ebenfalls „Zwilling“.
    Die Uneinheitlichkeit der Sprüche und auch die inhaltlichen Unterschiede zwischen dem Nag-Hammadi-EvTh und dem Oxyrhynchos-EvTh lassen darauf schließen, dass überhaupt kein „Verfasser“ im Sinne einer einzelnen Person vorliegt, sondern über einen langen Zeitraum und von vielen verschiedenen Anhängern mündlich überlieferte Jesusworte gesammelt und von Zeit zu Zeit aufgeschrieben wurden.
    Wie nah an Jesus selbst?
    Unter den insgesamt 114 „Logien“, wie die Einzelsprüche auch genannt werden, finden sich einige, die von allen bisher bekannten Quellen unabhängig sind und zugleich so ursprünglich wirken, dass sogar die kirchenmilden Katharina Ceming und Jürgen Werlitz die bange Frage stellen – und „in Einzelfällen bejahen“ müssen:
    Kommen wir der Verkündigung Jesu bei einzelnen Sprüchen des Thomasevangeliums näher als bei den Synoptikern? (Die verbotenen Evangelien, S. 124)
    Als Paradebeispiel für einen solchen Spruch gilt die Nummer 98 (alle Zitate nach der Übersetzung von Lüdemann/Janßen):
    Jesus sagte: „Das Königreich des Vaters gleicht einem Menschen, der einen mächtigen Mann töten wollte. Er zog das Schwert in seinem Haus. Er stieß es in die Wand, um zu erkennen, ob seine Hand stark genug wäre. Dann tötete er den Mächtigen.“
    Ein solch radikales Statement konnte schwerlich Eingang in die später kanonischen Evangelien finden. Es besteht jedoch nahezu übereinstimmend die Meinung, dass diese Aussage so weit „echt Jesus“ sein dürfte, wie es nach 2000 Jahren überhaupt noch denkbar ist. Das Bild des reinen Pazifisten Jesus, der gar nichts mit militanten Bewegungen wie den Zeloten gemein hatte, lässt sich mit der oben erkennbar gewordenen Haltung jedenfalls schwerlich vereinbaren.
    Schon der erste Spruch macht deutlich, welche Absicht mit dieser Sammlung von Weisheitsworten verbunden ist:
    Ohne Selbsterkenntnis keine Erlösung
    Und er sagte: „Wer die Erklärung dieser Worte findet, wird den Tod nicht schmecken.“
    Ein deutlicher Hinweis auf die gnostische Ausrichtung: Wer durch das Studium dieser Schrift zu (Selbst)erkenntnis

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