Die Un-Heilige Schrift
keinem Wort von zwei der umstrittensten Themen christlichen Glaubens: der jungfräulichen Geburt und der Auferstehung.
Mit einer solchen Auffassung ist kein (Kirchen-)Staat zu machen. Diese Lehre begründet keine hierarchische Ordnung und schon gar keine patriarchalische Ordnung. Im Gegenteil: Jeder ist aufgerufen, selbst zu denken. Eine unbequeme Einstellung, die jedem eine Menge Verantwortung aufbürdet.
Manichäer und sonstige Häretiker griffen häufig zum EvTh
Bei den zeitgenössischen „Abweichlern“, Häretikern aller Lager und besonders Manichäern, erfreute sich das Thomasevangelium größter Beliebtheit; ein Umstand, der für die Großkirche untragbar war und dazu beitrug, dass die Spruchsammlung zum verbotenen Wort erklärt wurde. Ungeachtet des sehr wahrscheinlichen Umstandes, dass darin zum Teil einzigartige und einzigartig authentische Jesus-Worte überliefert worden sind.
Dass man sich auch 1.900 Jahre danach mit Ansichten wie jenen des Thomasevangeliums in die Nesseln setzen kann, musste Gerd Lüdemann, gemeinsam mit Martina Janßen Herausgeber der ersten Gesamtübersetzung der Nag-Hammadi-Schriften, am eigenen Leib erfahren:
Martyrium des hl. Hippolyt. Dieric Bouts, 1475. Copyright The Yorck Project. Hippolyt zitierte soweit bekannt als erster das EvTh in seiner anti-gnostischen Kampfschrift „Widerlegung aller Häresien“. Er war selbst umstritten und im 3. Jh. erster Gegenbischof von Rom. Hippolyt vertrat eine rigide Haltung zur „Todsünde Unzucht“. Ob sein Martyrium tatsächlich geschah, ist unbekannt; die Legende genügte, um dem Namenspatron von St. Pölten (Hauptstadt von Niederösterreich) die Heiligsprechung einzubringen. War dem Maler Dieric Boutos die makabre Ironie seines Gemäldes bewusst? Hippolyt bedeutet Pferdebändiger…
Nachdem Lüdemann sich schrittweise vom christlichen Glauben losgesagt hatte, wurde ihm 1999 der Lehrstuhl für das Fach „Neues Testament“ auf Antrag der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen entzogen, da den Kirchen Lüdemanns Tätigkeit in einem konfessionsgebundenen Amt nicht mehr tragbar schien. Sein Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät Göttingen wurde in einen Lehrstuhl für „Geschichte und Literatur des frühen Christentums“ umgewidmet und ihm die Mitwirkung bei Prüfungen im Rahmen der theologischen Studiengänge untersagt. Gerd Lüdemann ist gegen diese Entscheidung juristisch vorgegangen, seine Klage wurde zuletzt vom Bundesverwaltungsgericht am 3. November 2005 abgewiesen. (Zitiert nach http://de.wikipedia.org, 5. 11. 2006)
Und Lüdemann ist beileibe kein Einzelfall: Wenn es darum geht, auf Standpunkten zu beharren, die für Außenstehende oft nicht einmal so recht voneinander zu unterscheiden sind, ist die (katholische) Kirche an Borniertheit schwer zu übertreffen. Man erinnere sich an den Streit um das Jota im Kampf der Arianer mit den Trinitariern. Weitaus schlimmer ist jedoch der Umstand, dass sich an diesem übermenschlichen Beharrungsvermögen nie etwas geändert hat. Klaus Berger, ein auch in diesem Buch bereits zitierter, ausgesprochen produktiver theologischer Publizist, kann davon ein Lied singen:
Berger wollte ursprünglich katholischer Priester werden. 1967 hatte die Münchner katholische Fakultät seine Doktorarbeit ablehnend beurteilt; (…) Er selbst sagte dazu: „Diese Promotion an der Münchner Fakultät endete mit einem Skandal: Ich durfte, entgegen meinem Wunsch, nicht Priester werden und mußte eine neue Dissertation schreiben. Der Grund: Ich hatte behauptet, Jesus habe das jüdische Gesetz nicht abgeschafft, sondern im Sinne seiner Zeit verstanden und erfüllt.“ (Eintrag auf http://www.kathpedia.com, 28. 10. 2006.)
Der wahre Inhalt alter Schriften ist schwierig zu enträtseln: Nicht nur sind häufig die Tücken von Übersetzungen von Übersetzungen von Übersetzungen von Abschriften zu bewältigen, meist fehlen auch schlicht ganze Textabschnitte. Solche Manuskriptlöcher werden "Lacunae" genannt und verlangen nach wissenschaftlicher Kreativität und fantasievollem Spürsinn.
Nur um diesen Sachverhalt richtig zu würdigen: Ein junger Theologe wagt es mitten in den für ihren ungestümen Freiheitsdrang bekannten Sechzigerjahren zu behaupten, Jesus habe das Gesetz, mit dem er aufgewachsen war und das sein und das Leben all seiner Mitmenschen bestimmte, nicht einfach über den Haufen geworfen, sondern seinen Anschauungen entsprechend in die neue, jesuanische Zeit transferiert. Man ist
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