Die Un-Heilige Schrift
gnostischen Diktion preist er sie als „pneumatische und reine Maria“ (Pistis Sophia Cap. 87) und freut sich nach entsprechenden erhellenden Ausführungen ihrerseits mit ihr, dass sie die Finsternis hinter sich gelassen und in das Reich des Lichts eingetreten ist: „Vortrefflich, Maria, du Selige, die das ganze Lichtreich erben wird.“ (PS Cap. 61).
Die Bezeichnung „pneumatisch“ ist der gnostischen Schule des Valentinianismus entnommen, in der der Mensch dreigeteilt erscheint: hylikoi (griech. für Stoffartige), psychikoi (griech. für Seelenartige), pneumatikoi (griech. für Geistartige).
Maria ist "pneumatisch", weil sie den Erlösungsweg zu Ende gegangen ist.
Maria hat die niederste materielle, aber auch die zweite, emotionale Ebene hinter sich gelassen und ist als wahre „Geliebte“ (im Sinne von geistig Nächststehender) des Herrn zur pneumatikoi aufgestiegen. Dies unterstreicht auch ein Maria-Magdalena-Zitat aus dem Dialog des Erlösers, Nag-Hammadi-Codex III,5: „Sie sagte dies als eine Frau, die vollständig verstanden hatte.“ (Lüdemann, S. 153)
Maria Magdalena als hervorragende Gnostikerin – einen eindeutigeren Hinweis hätte es wirklich nicht gebraucht, um sie in den Augen der entstehenden Großkirche zu diskreditieren. Ihr Evangelium strotzt vor höchst gefährlichem Gedankengut: Es ist individualistisch und elitär auf die Erlangung von Erkenntnis ausgerichtet, widersetzt sich der Bildung einer straffen kirchlichen Organisation und trägt Züge einer Geheimlehre in sich. Auch ohne die Klassiker „Demiurg“ (böser Weltenschöpfer) und „Doketismus“ (Scheinleibigkeit Jesu) unleugbar gnostisch; und dabei sind uns 10 der 19 Evangeliumsseiten vollkommen unbekannt und niemand kann sagen, welche „ketzerischen“ Gedanken sie enthalten mögen.
Im Fall der Maria Magdalena kommt als entscheidender Umstand allerdings etwas hinzu, das all die oben angeführten Kritikpunkte zum bloßen Vorwand degradiert: der kleine und doch alles beeinflussende Unterschied ihres Geschlechts.
Die Jüdin aus Galiläa
Die dem Herrn die Füße waschende Maria Magdalena hat zwar keinerlei biblische Grundlage, wurde aber dessen ungeachtet ausgesprochen häufig dargestellt. Bei diesem Romanino-Gemälde drängt sich der Eindruck auf, es gehe in erster Linie darum, der Frau ihren Platz in der Gesellschaft zuzuweisen. Das Bild von 1545 trägt den Titel: "Abendmahl im Hause des Pharisäers".
Zur Stellung der Frau in Marias Zeiten ein Zitat von Hartmut Stegemann (S. 359):
Sie galten wegen der Hauptschuld Evas am Sündenfall im Paradies (Gen 3) als besonders schuldbeladen und waren religiös generell disqualifiziert. Nach verbreiteter Auffassung hatten sie weder eine Seele noch Anteil am ewigen Leben. Deshalb pflegten fromme Juden Gott dafür zu danken, dass er sie nicht als Frauen hatte auf die Welt kommen lassen.
Im Gegensatz dazu weist Ingrid Maisch in Anlehnung an die jüdische Wissenschaftlerin Pnina Navè Levinson darauf hin, dass die Frauen Eigentum hatten und darüber auch verfügen konnten und das Recht in Anspruch nahmen, den Mann zu verlassen. Levinson spricht allgemein von einer „hohen Einschätzung und Wertschätzung der Frau“ in der biblischen und nachbiblischen Literatur und Maisch führt schlussfolgernd aus:
Frauen nehmen aktiv am religiösen Leben teil – nicht nur im Haus, wo viele religiöse Aufgaben überhaupt nur von Frauen geleistet werden können, sondern auch im öffentlichen Gottesdienst (…) In den frühen Synagogen sitzen Männer und Frauen noch nicht getrennt (die Frauenempore ist erst für die nachbiblische Zeit belegt) (…) Wenn die galiläische Jüdin nach Jerusalem kommt, kann sie – wie ein Mann – am Tempel opfern; denn „opfern“ bedeutet in beiden Fällen: das Opfer (Tier oder Weihrauch) bezahlen. (S. 17)
Die von Maisch bzw. Stegemann mit „vertauschten Rollen“ vorgebrachten Extremstandpunkte sind nur scheinbar unvereinbar. Denn die frauenverachtenden und Frauen in das zweite Glied stellenden Strömungen waren, wie von Maisch selbst angeführt, unbestreitbar vorhanden; es war ein Thema in Diskussion, was sich direkt aus der Tora, einem Dokument der Streitkultur, ablesen lässt. Dort reichen die Antworten auf die Frage, ob die Tochter in der Tora unterwiesen werden solle, von „man ist dazu verpflichtet“ über „man kann es tun, aber es besteht keine Verpflichtung“ bis zu „man soll es nicht tun“.
Frauen waren nicht gleichberechtigt, aber besser dran
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