Die Un-Heilige Schrift
verstecken, bis das Schlimmste vorüber ist.
Diese vorbildliche Haltung blieb freilich nicht unbelohnt: Maria als der Ersten unter den Frauen wird die Ehre zuteil, auch als Erste dem auferstandenen Jesus zu begegnen.
Die beiden Eckpfeiler des christlichen Glaubens kennen nur eine gemeinsame Zeugin: Maria Magdalena
Die beiden Eckpfeiler des christlichen Glaubens – das Erlösungswerk durch das Leiden am Kreuz und die Auferstehung – kennen nur eine einzige gemeinsame Zeugin: Maria Magdalena. Gründe, sie als die Auserwählte des Herrn zu betrachten, sind also mehr als ausreichend vorhanden. Dennoch wurde Maria Magdalena bekanntlich nicht zur Kirchengründerin, im Gegenteil: Sie als Inbegriff alles Weiblichen wurde an den Rand gestellt. Welch zentralen Platz sie nach Meinung sicherlich vieler Urchristinnen hätte einnehmen müssen, wird in den zahlreichen Erwähnungen in gnostischen Schriften deutlich. Der in diesem Sinne bedeutendste Text trägt als einziges (apokryphes oder kanonisches) Evangelium sogar den Namen einer Frau.
Das Evangelium der Maria
Der Kodex Berolinensis wurde bereits 1896 in Ägypten entdeckt, die damit zutage geförderten Inhalte erweckten allerdings erst um 1970, im Zusammenhang mit der Erforschung der gnostischen Bibliothek von Nag Hammadi, echtes Interesse.
Wie in Nag Hammadi handelte es sich um Übersetzungen griechischer Texte ins Koptische. Eine Schrift erweckte die besondere Aufmerksamkeit als einzigartiges Licht auf die urchristlichen Beziehungen von Mann und Frau; leider war dieser Text alles andere als vollständig. Von den 19 Seiten sind lediglich die Seiten 7 bis 10 und 15 bis 19 – immerhin gut – erhalten.
Der Text, dessen Entstehung auf die Jahre 120 bis 180 n. Chr. datiert wird, widerspiegelt darüber hinaus wie alle gnostischen Schriften die Heterogenität des Christentums gerade im zweiten, für die Kanonisierung so wichtigen Jahrhundert.
Dem Charakter nach handelt es sich um einen Offenbarungsdialog zwischen dem Erlöser und Maria bzw. den anderen Aposteln. Der Einstieg auf Seite 7 ist naturgemäß abrupt. Wir befinden uns in einer Diskussion um die letzten Dinge:
„Wird auch die Materie gerettet oder nicht?“
Der Retter sagte: „Alle Natur, jede Gestalt und jede Kreatur besteht in- und miteinander und wird wieder zu ihren eigenen Wurzeln hin aufgelöst. Denn die Natur der Materie kann sich nur zu ihren eigenen Wurzeln hin auflösen. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“
Da sprach Petrus: „Du hast uns alles erkennen lassen, sag uns nun auch noch dies: Worin besteht die Sünde der Welt?“
Der Retter sprach: „In Wahrheit gibt es keine Sünde, sondern ihr macht Sünde durch euer Tun.“
Und er sprach weiter: „Deswegen entsteht auch ihr, und deswegen sterbt auch ihr … Wer es fassen kann, der soll es fassen!“
In dieser kryptisch-gnostischen Tonart geht es noch ein kleines Weilchen weiter; dann erteilt Jesus den Auftrag, fest im Glauben zu sein und das Evangelium zu verkünden, also die christliche Mission zu beginnen:
„Frieden mit euch! Mühet euch um meinen Frieden. Hütet euch, dass niemand euch abirren lasse mit den Worten: Seht hier, seht da! Denn der Sohn des Menschen ist inwendig in euch. Ihm sollt ihr nachgehen! Wer ihn sucht, wird ihn finden. Geht also und predigt das Evangelium der Herrschaft Gottes! Legt keine Regeln fest jenseits dessen, worin ich euch unterwiesen habe, und erlasst keine Gesetze, wie es ein Gesetzgeber tut, denn dies würde euch in Fesseln legen.“
Jesus verschwindet und lässt die Jünger mit dieser eindeutig gegen die Errichtung einer kirchlichen Organisation gerichteten Botschaft bestürzt und ratlos zurück:
Sie aber waren traurig, weinten und sprachen: „Wie sollen wir zu den Völkern gehen, um das Evangelium vom Menschensohn zu predigen? Wenn selbst er nicht verschont wurde, wie sollen wir dann verschont bleiben?“
Die ohnmächtige Magdalena: Von Reue und inbrünstiger Hingabe erschöpft, schwanden ihr die Sinne ... Guido Cagnacci, 1663. Eine solche Gelegenheit, eine barbusige Dame abzubilden, konnte sich der Künstler offenbar nicht entgehen lassen.
Auftritt der Maria von Magdala, deren Selbstbewusstsein die zagenden Männer wieder aufrichtet:
Da erhob sich Maria, gab allen den Kuss zum Gruß und sprach zu den Brüdern: „Weint nicht, trauert nicht und zweifelt nicht, denn seine Huld wird mit euch sein und euch hüten. Lasst uns seine Größe rühmen, denn er hat uns hergerichtet und aus uns Menschen
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