Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
Sommersprossen stand mit gespreizten Beinen vor einer Mauer. Sie trat hinter ihn. Sobald er anfangen würde, sich zu erleichtern, würde sie ihm die Hand auf die Schulter legen und ihn ordnungshalber am Ohr ziehen, und dazu würde dem Flegel die Pause gestrichen … Clémentines Augen strahlten.
Aber der Schüler lief einfach weiter: Er hatte sich nur mit dem Rücken zum Wind die Jacke zugeknöpft. Sie lächelte milde. Er blieb kurz stehen, um zum Gruß die Mütze zu lüften. Was sie für einen vergnügten, vollmundigen Kuss auf seine Wange nutzte.
Dann wurde ihr bewusst, was sie gerade getan hatte.
Bestürzt stand das Kind da. Clémentine spürte, wie ihre Schläfen heiß wurden.
»Los, los! Beeil dich …!«
Sie wedelte mit den Armen, als wollte sie ein paar Vögel verscheuchen. Das Kind machte schleunigst, dass es davonkam. Sie sah sich nach allen Seiten um. Niemand hatte das Geschehen beobachtet.
Die Schüler liefen erregt vom Gefühl der letzten Minuten vor dem Klingelzeichen über den Pausenhof; tumultartiges Geschrei stieg auf. Sobald sie in den Hof trat, heftete sich eine Traube Kinder an ihren Rock. Alle redeten gleichzeitig auf sie ein. Clémentine hörte ihnen zu, antwortete auf ihre Fragen, lauschte ernsthaft jeder ihrer bezaubernden Belanglosigkeiten; sie schlichtete einen Streit darüber, wie viele Bäuche Ameisen hatten. Als sie den Kleinen mit den Sommersprossen erblickte, lächelte sie ihm bemüht zu; er wurde verlegen und rannte fort. Wieder wurden ihre Schläfen heiß.
Ein dunkler Gegenstand tauchte vor ihrem Gesicht auf, und sie musste ausweichen. Die Schüler machten sich einen Spaß daraus, auf ihm herumzutreten. Ein unglückseliger, hochgewachsener, verschüchterter Koloss tippelte von einem Jungen zum nächsten in der Hoffnung, seinen Hut wiederzubekommen. Mademoiselle Clément erkannte ihn: Er war Angestellter in der Bank. Sie fand es sonderbar, ihn hier anzutreffen, denn der Zugang zum Hof war niemandem außer den Schülern und der Lehrerschaft gestattet, die Schulordnung war in dieser Frage sehr streng. Doch war dies kein Grund, ein solches Spiel zu dulden. »Martin!«, rief sie, »Gérard! Das reicht!« Und gerade als sie Ohrfeigen austeilen wollte, erklang die Glocke. Mit einem Mal hatte sich das Tohuwabohu in Luft aufgelöst, war wie weggeblasen. Die Schüler strömten zurück zu den Gebäuden.
Sie hatten sich in Reihen aufgestellt, und Clémentine inspizierte langsamen Schrittes ihre Schüler; kein Kopf, keine Schulter durften aus der Reihe tanzen. Der Hut des Bankangestellten lag vor Guillubarts Füßen. Clémentine tat, als richtete sie Pierre Lavallée die Fliege, um Rocheleau besser im Blick zu haben, der Guillubart etwas hinhielt, ein Stück Papier, das er zur Kugel zerknüllte. Guillubart schob die Hand vor, um danach zu greifen … Da drehte Clémentine sich herum und ging geradewegs auf die beiden zu. Von Panik ergriffen, ließ Guillubart die Kugel fallen, die in den Hut rollte. Mademoiselle Clément wollte gerade danach greifen, als eine riesige Gestalt ihr in die Quere kam und sie einen brennenden Schmerz verspürte: Der Bankangestellte war zwischen den Reihen aufgetaucht und ihr dabei auf den Fuß getreten. Er stammelte ein paar entschuldigende Worte und bückte sich, um seinen Filzhut aufzuheben. Dabei traf sein Blick auf Guillubarts, und ein Ausdruck des Erstaunens legte sich auf sein Gesicht. Sieverharrten eine langen Moment in dieser Pose, bleich, mit zitternden Lippen, erstarrt wie beim Anblick eines Geistes.
»Kommen Sie, Mademoiselle Clément?«
Es war die Stimme des Schuldirektors; Clémentines Klasse war die letzte, die noch nicht hineingegangen war. Sie errötete und schritt los.
Als sie die Tür hinter sich schloss, bemerkte sie, dass der Bankangestellte sich nicht gerührt hatte. Der Filzhut saß wieder auf seinem Kopf. Auf seinem Gesicht lag noch dieselbe Bestürzung, es war, als sei ihm der Atem gestockt … Schaudernd begriff die Lehrerin plötzlich. Sie musste sich gegen den Türrahmen lehnen.
Remouald hatte keine drei Schritte getan, als er wieder stehenblieb. Der Hut fühlte sich sonderbar auf seinem Kopf an, unangenehm, als wäre ihm eine Beule gewachsen. Er nahm ihn ab und entdeckte die Papierkugel darin. Er faltete sie so gut er konnte auseinander. Auf dem Blatt waren ungeschickt die Brüste einer Frau gezeichnet, die an Clownsaugen erinnerten, dazu Schuhe mit hohen Absätzen, ein behaarter Hintern. Der Briefkopf auf dem Papier gehörte zu
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