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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Vorname stand: »Joceline«.
    * * *
    Bruder Gandon hatte einen Teil des Nachmittags damit verbracht, einen Brief zu verfassen, in dem er sich selbst bezichtigte, sich an Mademoiselle Clément haben vergreifen zu wollen. Er nahm jeden Tadel auf sich, entlastete sie von allem. Die Lehrerin stand, begründet oder nicht, in dem Ruf, einige Ersparnisse zu besitzen. Sollte aber der Hausmeister versuchen, sie zu erpressen – und es gab durchaus Grund zu der Befürchtung –, ihr damit drohen, zu erzählen, was er letzte Woche im Büro des Direktors gesehen hatte, dann würde Gandon den Brief den zuständigen Behörden schicken. Was konnte ihm schon passieren? Sie würden ihn auf eine ausgedehnte Dienstreise schicken, um Gras über die Sache wachsen zu lassen, nach Afrika, nach Japan, zu den Eskimos: »Pah, als wäre ich der Erste.« Bruder Gandon hatte Tränen in den Augen. Und das alles nur wegen des Irrsinns, der Torheit seiner Lehrerin …!
    Der Direktor verließ sein Büro und ging zum Pfarrhaus. Er hatte Pfarrer Cadorette versprochen, ihn zu besuchen. Er hoffte, seinem Freund Trost spenden zu können und dabei auch die eigenen Sorgen ein wenig zu vergessen … Als er wieder ging, war er erschüttert. Jetzt, da Remouald Tremblay tot war und auch die Tage des Pfarrers gezählt schienen, fühlte dieser sich nicht mehr an seine Schweigepflicht gebunden und hatte dem Direktor die Wahrheit über den Bankangestellten verraten. Bruder Gandon zitterte. Gott, was musste das für ein Leben gewesen sein, was für Qualen, zwanzig Jahre lang …!
    Der Direktor setzte sich die Mütze auf, knotete sich den Schal um den Hals, den Remouald Tremblay bei sich gehabt, vielleicht sogar getragen hatte. Er meinte einen Geruch zu erkennen … Gandon setzte sich in Bewegung, er hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Er lief über den Kirchvorplatz … Abrupt blieb er stehen, sie verlangsamte ihren Schritt, und eine Weile starrten sie sich grußlos an. Mademoiselle Clément kam gerade aus der Kirche, nach ihrem Ausfall vor den anderen Lehrerinnen. Es war das erste Mal, dass sie sich sahen seit ihrem Streit.
    »Waren Sie krank letzte Woche?«
    »Nichts Schlimmes«, antwortete sie mit eisiger Höflichkeit. »Nur eine Grippe. Es geht mir schon viel besser. Tut mir Leid für Sie.«
    »Dann eben ein andermal«, sagte er und entblößte lächelnd seine Zähne.
    Sie hielt mit absichtlicher Lässigkeit die Spitzen ihres Mantels in den Händen. Mit der weiten Kapuze, die sie sich über den Kopf gezogen hatte, sah sie aus wie eine Madonna. Gandon war verblüfft, wie schön sie war. Sie erinnerte ihn an die Damen, die er als Jugendlicher an den Samstagabendenbegräbnishaft apart aus dem Theater kommen sah und die in ihm eine derartige Verwirrung auslösten, dass er vor ihnen Reißaus nahm. Wohin mochte sie gehen, zu was für einem Empfang, dass sie sich so elegant kleidete? Plötzlich bemerkte er, dass sie sich die Augen geschminkt hatte. Und sie war so vor die Schüler getreten! Der Direktor wollte sich nicht darüber entrüsten. Ihm schien, als habe sie noch ein zweites Leben, das aus Licht, Bällen und Musik bestand; er fühlte sich elend in seiner geflickten Soutane. Er dachte an den Feuerwehrhauptmann. Und war noch erboster über sie.
    »Tja dann, Sie entschuldigen mich«, sagte Clémentine, »ich muss nach Hause.«
    Gandon sagte kein Wort. Schulterzuckend machte sie sich von dannen. Der Bruder folgte ihr.
    Sie ging einfach ihres Weges, mit rechtschaffener, gleichmütiger Miene, als wolle sie ihm sagen: »Sie können mir ruhig nachgehen, ist mir doch piepegal.« Er blieb dicht hinter ihr, mit verkniffenem Gesicht.
    Auf den Straßen waren mehr Menschen als sonst zu dieser Zeit. Sie achteten nicht darauf. Unablässig kamen die Leute aus ihren Häusern, riefen sich über die Straße etwas zu, gingen in ein und dieselbe Richtung. Clémentine und Gandon folgten dem Strom. Er fragte sie:
    »Haben Sie schon gehört? Ich meine die Sache mit Monsieur Tremblay, dem Bankangestellten?«
    »Natürlich«, sagte sie souverän. »Ich lebe ja nicht hinterm Mond.«
    »Sie erinnern sich sicher an den anonymen Brief. Den die Polizei erhalten hat und über den Sie so viel Aufhebens gemacht haben … Mademoiselle Clément? Hören Sie mir zu?«
    Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn.
    »Ja, ich höre.«
    Gandon lachte bitter. Clémentine, die ahnte, was nun kam, marschierte unbeirrt weiter. Schließlich sagte er:
    »Er war von Remouald Tremblay.«
    »Na und?«,

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