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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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und versuchte es zu öffnen. Noch einmal wandte sich Bradette an ihn.
    »Die Decke. Das ist meine.«
    Die beiden Jungen schauten sich an.
    »Ich bleibe«, wiederholte Bradette.
    »Fenster zu! Es wird kalt!«, schrie Roger gereizt.
    Bradette gab ihm einen leichten Tritt in den Hintern, und Rocheleau stand wieder draußen auf der Galerie. Das Fenster schloss sich hinter ihm. Der Schnee unter seinen Füßen war trocken. Er fühlte sich an wie Mehl. Rocheleau fröstelte. Es war kalt wie in der Hölle.
    * * *
    Er musste nach Hause, er war schon weit über der Zeit. Das würde sicher eine Strafe nach sich ziehen: trocken Brot für dienächsten zwei Tage, Leseverbot, Engerstellen der Klammer ... Rocheleau würde seinen Vater schriftlich bitten müssen, ihn zu bestrafen, denn sein Vater tat Gerechtigkeit nur aus Güte, so wie man einem anderen einen Gefallen tut. Zur Bestrafung gehörte, dass man – aus leidenschaftlichem Gerechtigkeitssinn – selbst nach Strafe verlangte. »Lieber Vater, Dein tadelnswerter Sohn bittet Dich demutsvoll um das Engerstellen seiner Klammer …« Anstelle des nachsichtigen und mitfühlenden Sanftmuts, mit dem sein Vater seine Urteile vollstreckte, hätte Rocheleau es hundertmal lieber gehabt, dass er ihn anschrie, ausschimpfte oder schlug. Nächtelang quälte Rocheleau der Gedanke, dass man das, was man am meisten liebte, mit einem Hass verachten konnte, der durch Mitleid nur noch schlimmer wurde. Für ihn war das der Beweis für seine Bösartigkeit. Jedes Mal wenn er seinen Vater umarmte, dachte er daran, so dass er ihn noch fester umklammerte, ihm sein Gesicht in die raue Wange drückte und weinen musste. Manchmal wachte er nachts von dem Gefühl auf, dass sein Körper mit Ungeziefer bedeckt wäre.
    Vorsichtig stieg er die ersten Stufen hinunter, prüfte jede einzelne mit dem Fuß, so wie man mit dem Zeh die Temperatur des Badewassers testet, dann blieb er stehen. Er forschte in der Dunkelheit, die ihn umgab. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, dass sich ihm wie von einer Hand gezogen die Haare aufrichteten. Plötzlich durchzuckte ihn die Gewissheit: Er war nicht allein im Hof .
    Ihm stockte der Atem.
    Der andere musste sich am Fuß der Treppe befinden. Er glaubte seinen Atem zu hören. Da kam ihm ein neuer, noch schlimmerer Gedanke: Sie waren die ganze Zeit beobachtet worden . Rocheleau dachte daran, die anderen zu warnen, aber die Aussicht, Roger noch einmal zu sehen, hielt ihn davon ab.Er wollte fragen: »Wer ist da?« Aber er fürchtete, der Klang seiner eigenen Stimme könne ihn in noch größere Angst versetzen. Langsam begannen die Gedanken in seinem Kopf zu verschwimmen. Es war stockfinster. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er meinte es keine Sekunde länger auszuhalten. Er warf sich nach vorn, hastete die letzten Stufen hinunter, rannte zum Ausgang des Hofes und stieß einen Schrei aus: Ein Arm hatte ihn gepackt und zu Boden geworfen. Im Halbdunkel erspähte er eine Gestalt, die ihm riesig erschien. Ein Wort fiel, eine Art Wehklage: »Erbarmen!« vielleicht, er war sich nicht sicher. Die Tür zum Hof flog auf. Rocheleau stand wieder auf und sah sich suchend um. Es war niemand mehr da.
    Eine Zeitlang wusste er nicht, was er tun sollte. Aber es wurde immer kälter und er konnte langsam seine Zehen nicht mehr spüren. Er wagte sich auf die Straße. Der andere stand ein paar Meter entfernt und beobachtete ihn. Rocheleau erkannte ihn: gestern Morgen auf dem Schulhof, der Mann mit dem Hut. Er erschauderte: »Der will mich schnappen, ich muss mich verteidigen.« Aber kaum hatte er sich gebückt, um einen Stein aufzuheben, da war die Gestalt bereits verschwunden.
    Was, wenn der Mann etwas gesehen hatte und alles seinem Vater erzählte …? Auf der Rue Dézéry blieb Rocheleau unvermittelt stehen. Nachts, wenn alles still war und man genau horchte, konnte man das leise Rauschen des Flusses hören. Für einen kurzen Moment dachte Rocheleau daran, sich ins Wasser zu stürzen. Das Wasser musste so schwarz sein, so kalt, und dickflüssig wie Öl. Er stellte sich vor, wie ein Stein zu versinken, und schüttelte sich mit Grausen. »Ich will nicht sterben«, sagte er sich im Brustton der Überzeugung. Aber was hatte er vorhin gemacht, trotz des deutlichen Verlangens umzukehren? Er warBradette gefolgt. Rocheleau verspürte eine nie gekannte Angst. Was, wenn er sich trotzdem in den Fluss werfen würde? Wenn etwas, das stärker war als er, ihn hinabziehen würde, vielleicht seine Mutter aus ihrem

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