Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)
er das Rätsel nicht lösen können. Remouald hatte Cadorette oft danach gefragt, als er klein war. Der Pfarrer hatte zum Zeichen seiner Unkenntnis vage abgewunken. »Aber das ist ein lustiger Name, Vilbroquais«, sagte Remouald, während er verträumt mit dem Finger die Kurven der Unterschrift nachzeichnete. »Es klingt ein bisschen wie Bilboquain.«
Der Pfarrer setzte seinen Weg fort und betrat den Hof. Dabei prallte er beinahe mit einem Hintern zusammen, und als dieser Hintern sich umwandte, erkannte er Remouald Tremblay. (Es hatte sich hundertfach bestätigt: Immer wenn er an ihn dachte, lief er ihm umgehend über den Weg.) Remouald sägte an einem Brett, errötete aber, als wäre er bei etwas Unschicklichem überrascht worden. Er zupfte zum Gruß an seinem Hutrand.
»Baust du dir eine Hütte?«
Remouald nagelte das Brett an zwei Balken. Der Pfarrer reichte ihm gerade bis zum Ellbogen.
»Das ist keine Hütte«, sagte er.
Es sah ganz so aus, als wolle er es dabei bewenden lassen. Der Pfarrer schickte sich schon an weiterzugehen, ohne etwas in Erfahrung gebracht zu haben. Aber er besann sich anders.Er wedelte mit der Mütze den Schnee beiseite und setzte sich auf eine Treppenstufe.
Der Anblick von Handwerkern machte den Pfarrer nostalgisch, er konnte dem Vergnügen nicht widerstehen, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Als Kind hatte er davon geträumt, Schuhmacher zu werden wie sein Großvater, um der Ehrlichkeit der Dinge nachzueifern, wie auch aus einer gewissen Neigung zur geistigen Ruhe, aber da es einen Geistlichen in der Familie brauchte … Mit Remouald jedenfalls war ihm sehr gedient. Der Bankangestellte war weit und breit der beste Zimmermann, den Cadorette kannte. Seine Bewegungen waren einfach, ohne unnötigen Aufwand, und sein Gesicht strahlte eine klare Ruhe aus, dass man meinen konnte, er würde sich gleich wie ein Heiliger in die Lüfte erheben. Doch sowie er das Werkzeug beiseite legte, sah man wie nach der Berührung mit einem Zauberstab wieder den Bankangestellten, der dreinsah wie ein geprügelter Cocker-Spaniel, vom strahlenden zurück zum lumpigen Aschenputtel. Cadorette konnte sich nicht erklären, weshalb Remouald sich weigerte, mit dieser Gabe sein Brot zu erwerben.
Remouald, der den Pfarrer aus dem Augenwinkel beobachtete, werkelte weiter, ohne etwas zu sagen. Schließlich hielt er verschüchtert inne. Cadorette nutzte die Gelegenheit.
»Aber was soll das geben, mein kleiner Remouald, wenn es keine Hütte wird?«
Remouald schaute aufmerksam auf seine zur Faust geballte Hand. Es schien, als lausche er der Frage nach, die ihn umschwirrte, und warte mit der Antwort, bis sie sich wie eine Fliege auf seine Hand gesetzt hatte. Dann sagte er:
»Eine Kapelle.«
»Eine Kapelle?«
»Ja.«
Er fuhr mit der Arbeit fort. Cadorette wischte sich über die Stirn. Er spürte, dass ihm, was immer nun folgte, unweigerlich Kopfschmerzen bereiten würde.
»Eine Kapelle, einfach so, mitten im Hof?«
»Ja, eine Votivkapelle, für die Heilige Jungfrau, ich habe ein Marienbild, das ich hier unterstellen will.«
Ganz leise fügte er hinzu:
»Ein Wunderbild.«
Der Pfarrer fächelte sich mit der Mütze Luft zu: Es kam schlimmer, als er befürchtet hatte. Er dachte eine Weile nach, dann fragte er:
»Ist das nicht ein seltsamer Ort für die Jungfrau Maria? An der Hinterwand einer Fabrik? Und was soll das bedeuten: ein Wunderbild?«
»Was ist daran seltsam?«
Der Pfarrer verzog das Gesicht. Er wusste, dass Remouald auf eine gegensätzliche Meinung mit eigentümlichen Winkelzügen reagierte, indem er die Stirn runzelte, die Nasenflügel hochzog und einen ansah, als verstünde er gar nichts.
»Ich finde, du hättest zumindest mit mir darüber reden können.«
Remouald zuckte die Schultern. Er hatte den Mund voller Nägel, die sich einer nach dem anderen zwischen seinen Lippen hervorschoben und von ihm mit der Gleichmäßigkeit eines Uhrwerks eingehämmert wurden. Der Pfarrer sah ihm bewundernd zu wie ein kleiner Junge. Dann kratzte er sich wehmütig eine Handfläche. Mit den anderen Gemeindemitgliedern war es doch so leicht. Cadorette sprach dieselbe Sprache wie sie, spürte, was sie beschäftigte, und selbst wenn er mit dem Heiligen Geist auf Tiefflug ging, konnte er immer nochabsehen, worauf er sich einließ. Aber bei Remouald … Abgesehen von Richter Lacroix, Dr. Rocheleau, Séraphon natürlich und vielleicht noch dem Polizeichef, war Cadorette vermutlich der Einzige im Viertel, der vom Geheimnis des
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