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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Remouald rief ihm nach.
    »Herr Pfarrer! Schauen Sie, wie schön sie ist!«
    Er hielt das Marienbild in den Händen. Über der Jungfrau rollten Cherubim eine Banderole aus, auf der Musiknoten tanzten. Der untere Teil des Bildes war vom Feuer angefressen, die Hände waren nicht mehr zu sehen. Remoualdlächelte. Wenn Esel lächeln könnten, dachte Cadorette, dann würden sie so aussehen. Dann antwortete er: »Ja, sehr schön.« Er lächelte traurig zurück. Ein Abschiedslächeln. Der Pfarrer verschwand. Er ging durch die Querstraße hinüber zum Hause Crampon. Er fühlte sich wahrlich nicht gut. Die Luft drang nur schwer in seine Brust, immer wieder meinte er, sich gleich übergeben zu müssen. Ob das die Garnelen waren, die er am Vorabend gegessen hatte? Oder waren die Cretons vom Frühstück vielleicht zu fett gewesen?
    Es waren die ersten Anzeichen des Herzanfalls, der ihn zehn Minuten später auf der Treppe des Hauses Crampon niederstrecken sollte.
    * * *
    Da es auf Mittag zuging, hatte Remouald beschlossen, eine Pause einzulegen. Er war nach oben in die Wohnung gegangen, um sich zu vergewissern, dass es seinem Vater an nichts fehlte. Séraphon schlief mit heraushängender Zunge wie ein Säugling, der gerade seinen Daumen losgelassen hat. Er machte sich einen guten schwarzen Tee, ging wieder hinunter, zündete sich ein wärmendes Feuer an und legte einen Kreis aus Ziegelsteinen darum; dann setzte er sich auf die Treppenstufe, auf der eben noch der Pfarrer gesessen hatte.
    Er zerriss den anonymen Brief und nährte damit die Flammen. Er wusste, dass der Feuerwehrhauptmann ihn geschrieben hatte. Diese Ausdrucksweise: »Dass das klar is’, mein kleiner Remouald. Wir versteh’n uns?«, ließ ihm keinen Zweifel. Das brennende Blatt schloss sich wie eine Hand. Ruß wirbelte auf, wurde vom Wind zerstreut, und der Schmutz setzte sich im umliegenden Schnee fest.
    Die Maus war von der Wärme angezogen zurückgekommen. Sie hatte Ähnlichkeit mit einem Mädchen, das ausgerissen ist, weil ihr Liebhaber sie betrogen hat: Ruckartig huschte sie die Mauer entlang, blieb stehen, hieb mit der Schnauze in die Luft, ging wieder weiter, todtraurig, denn alle Mäuse wissen, dass sie eines gewaltsamen Todes sterben müssen, sie erwarten ihn jeden Augenblick, und zittern. Wenn sie bis zu ihm käme, würde Remouald sie in die Hemdtasche stecken, um sie einen halben Tag lang zu wärmen. Als er sich gerade anschickte, mit der Arbeit fortzufahren, schlich eine Katze in den Hof, mit zitternden Barthaaren und dem Raubtierlächeln der Mona Lisa. Remouald warf einen Stein nach ihr. Die Katze machte drei geschmeidige Sätze zur Seite und miaute. Remouald warf einen zweiten Stein. Die Katze wich noch ein Stück weiter zurück. Dann kam sie wieder näher. Sie beschrieb einen Halbkreis wie ein Ringkämpfer, dem sein Griff misslungen ist und der nun wieder um den Gegner schleicht. Remouald musste auf sie zurennen, um sie zu verscheuchen. Sobald sie weit genug entfernt war, lief sie in munterem Tempo weiter und warf geringschätzige Blicke zurück, als wollte sie ihm ihr Hinterteil zeigen und sagen: »Wozu soll das denn gut sein, du Idiot, ich komme doch sowieso wieder.«
    Remouald suchte eine Weile nach der Maus, aber sie hatte sich vom Miauen verschreckt in ihr Versteck zurückgezogen. Er bedeckte das Feuer mit Schlamm, um es zu löschen. Eine Dampfwolke stieg auf, wie das Bäuerchen eines Vulkans. Er trat mit dem Stiefel die Glut aus. Sehr feiner Schneefall setzte ein.
    Remouald bückte sich, um den Hammer aufzuheben, als ihm der Geruch der feuchten Asche schneidend in den Kopf stieg. Ein Beben kam aus den Tiefen des Bodens und zog ihm in die Beine. Er spürte, wie er schwankte. Er dachte: »MeinGott, nicht jetzt.« Er horchte, besorgten Herzens. Noch war es nur ein undeutliches Brummen, das die Oberfläche der Dinge erzittern ließ, aber das Murmeln schwoll an, wurde zu einem Grollen, und das gespenstische, grauenhafte Geräusch, in das sich Geschrei und Gekicher mischten, erhob sich zum Angriff gegen die Welt, wie eine wilde Armee, die am Horizont in einem Staubwirbel in Erscheinung tritt und wie ein Trommler die Erde zum Klingen bringt. Remouald führte die Hand an die Stirn und spürte erleichtert, wie er immer matter wurde – er hoffte, ohnmächtig zu werden. Aber er musste einsehen, dass ihm diese Gnade nicht gewährt würde. Er musste den sich anbahnenden Anfall, der ihm wie ein altbekanntes Gesicht vorkam, bis zum Ende durchstehen.
    Unruhig

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