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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Schäflein auf die Knie zu zwingen, als ein Unbekannter neben mir auftauchte, ein Riese mit wütendem Blick, der mich mit Peitschenhieben verjagte. Heulend lief ich in meine Hütte zurück .
    Von da ab sind mir einige Dinge entfallen, meine Erinnerung verschwimmt. Jedenfalls meine ich, dass die Nachricht der Stute nur wenige Tage später kam. Darin hieß es einfach nur: »Dein Bruder ist tot. Er hat sich erhängt.«
    Gab es wirklich eine Beerdigung? Ich sehe die Dinge wie in einem Traum. Ich stand auf dem Dach der Hütte, der kleine Trauerzug eilte den Hügel hinab zum Familienfriedhof. Meine Mutter wurde von zwei Frauen gestützt. Ich war mehrere Tage wie ans Bett genagelt, fürchterlich krank. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, zweifelte daran, überhaupt noch am Leben zu sein. Ich blickte mich suchend nach dem Gefängnistor um. Nichts um mich herum existierte mehr. Aber das Begehren, dieses Geheimnis aufzuklären, gab mir schließlich wieder die Kraft zu gehen. Ich lief durch den Garten, über die Felder, den Kiefernwald entlang zum Friedhof. Dort stand ein kleines, kürzlich errichtetes Kreuz aus Stein. Ich ging hin und las. Sofort drehte ich mich wieder um, in höchster Verwirrung. Ich lief zurück zum Haus. Ich zweifelte, ob ich richtig gelesen hatte. Die Landschaft war völlig verändert, nichts war mehr wie vorher. Auf einem Hügel saß das Gefängnistor, hatte die Schuhe ausgezogen und leerte eine Flasche Wein. Ich sagte ihm, er solle mit in meine Hütte kommen. Er raffte sich auf, zuckte die Schultern und verschwand mit der Flasche am Hals. Menschen, die ich noch nie zuvor im Haus gesehen hatte, gingen dort ein und aus. Einer von ihnen hielt mich für einen Herumtreiber und herrschte mich an, ich solle woanders betteln gehen. Ich beschloss, in meine Hütte zurückzukehren. Was ich auf dem kleinen Steinkreuz gelesen hatte ließ mir keine Ruhe. War es ein Irrtum? Hatte sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt? Auf dem Kreuz stand: »Jean-Baptiste, 19 Jahre, Sohn von René und Carmen Wilson, Bruder von Amadeus.« Ich verstand gar nichts mehr . Wer lag in diesem Grab? Jean-Baptiste? War es möglich, dass ich mich mein Leben lang in meinem eigenen Namen geirrt und ihn mit dem meines Bruders verwechselt hatte? Oder hatte ich mich vielleicht nicht im Namen, sondern in der Person geirrt, und in Wirklichkeit war ich Amadeus? Aber wo fing dann Amadeus an und wo endete Jean-Baptiste? Ich klammerte mich an die einzige Gewissheit, an den einzigen Namen, dessen ich mir sicher sein konnte: Ich war Wilson .
    Eines Morgens betrat ein Unbekannter meine Hütte und schien überrascht, mich zwischen Kartoffeln und Büchern liegen zu sehen . Er rümpfte vor dem Dreck und Gestank meiner Behausung die Nase. Überzeugt, es mit einem Vagabunden zu tun zu haben, wies er mich an zu verschwinden. Ich fragte, was mit der Eigentümerin des Anwesens sei .
    »Das geht dich nichts an! Verschwinde!«
    »Ich bin ihr Sohn«, sagte ich .
    Er sah mich zögerlich an. Von draußen rief jemand: »Das kann nicht sein, ihr Sohn ist tot! Sie hatte auf ihrem Totenbett noch das Trauerkleid an.«
    »Was soll das heißen, ist sie tot?«
    »Sie ist an Auszehrung gestorben, oder an Kummer«, antwortete dieselbe Stimme .
    Ich wurde vor die Hüttentür gesetzt. Ich ging durch den Garten, wusste nicht wohin. Als ich an der Marienstatue vorbeikam, spuckte ich ihr ins Gesicht. Ich glaube, ich nahm die Landstraße nach Norden, ich weiß es nicht mehr, das alles ist wirr in meinem Kopf. So wirr, dass ich mich frage, ob nicht vielleicht das Gegenteil wahr ist: dass meine Mutter sich erhängt hat und mein Bruder an Auszehrung gestorben ist, weil er es nicht ertragen hat, sie zu überleben . Wie dem auch sei, das sind nur Details .
    Das Entscheidende ist, dass mein Zwilling nicht mehr war, und auch die Stute nicht, dass sie einen entsetzlichen Tod erlitten hatten und ich nun frei war .
    Hier hörte die Geschichte auf, einige Seiten waren herausgerissen. Séraphon klappte das Heft wieder zu. Noch nie hatteer etwas Vergleichbares empfunden. Sein Hals war trocken; heftig und heiß pulste das Blut durch seine Beine. Er betrachtete das Heft mit einer Art weihevollem Erstaunen. Zitternd öffnete er die Seiten wieder, ehrerbietig, und zuckte beklommen zusammen.
    Ich habe dieses Kind gesehen. Es heißt Remouald Bilboquain .
    Der Eintrag hatte das Datum von heute. Séraphon blätterte durch die folgenden Seiten, die nur vollgekritzelt waren mit bizarren Zeichnungen,

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