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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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Gruppen, mit einer Geige oder Flöte unter dem Arm, die Älteste dürfte kaum älter als vierzehn gewesen sein. An Chortagen wurden sie manchmal von einem Pfarrer begleitet. Mein Bruder und meine Mutter empfingen sie persönlich auf der Vortreppe und verneigten sich vor ihnen wie Hausangestellte . Ich sah, wie Amadeus unruhig den Blick zu meinem Fenster hob, und dieser flüchtige Blick namenlosen Verrats war der eindeutige Beweis, dass meine einstige zweite Hälfte gestorben war .
    Aber diese Hälfte blieb in mir wie eine hungrige Leere, eine lebende Leere. Und sosehr ich die Rückkehr des Kindsbruders herbeisehnte, schon ahnend, dass ich ihn eines Tages unausweichlich auf die eine oder andere Weise zurückbekommen würde, sosehr hasste ich diesen unterwürfigen, willenlosen Amadeus, der sich in allem nach den Wünschen seiner Mutter richtete, diesen einbalsamierten Amadeus, der es wagte, den Zwilling zu überleben, dessen Sarg ich war, und sich der Stute als Marionette zu verdingen .
    Durch das offene Fenster drang der Gesang der Schäflein zu mir, die schrille Stimme des Pfarrers, der ihnen die Feinheiten der Melodie erläuterte, und die Musik der anderen beiden, der Stute und ihres Sohnes, die vierhändig spielten! Ich hasste diesen guten Mann . Ich hasste meine Mutter. Ich hasste diese Mädchen .
    Aber das war noch nicht das Abscheulichste. Denn da gab es noch den ersten Sonntag im Monat. Im Morgengrauen wurde ich aus dem Bett gezerrt, ausgezogen, mit eimerweise eiskaltem Wasser überschüttet, abgetrocknet, am Hintern gewischt, mit einer absurden Verkleidung kostümiert. Ich habe mich lange gefragt, was meine Mutter mit diesem allmonatlichen »Familienmahl« bezwecken wollte . Dann begriff ich, dass es sich um ein kompliziertes Ritual handelte, für das ich nur Mittel zum Zweck war, und dass die Gegenüberstellung der Schönheit meines Bruders und meiner monströsen Hässlichkeit ihre Lüsternheit anstachelte. Ich tat alles, um sie nicht zu enttäuschen. Ich aß mit den Fingern, leckte über den Teller, bekleckerte meine Kleider mit Soße, rülpste, furzte. Die ganze Zeit stand ein Hausangestellter neben mir, dessen alleinige Aufgabe es war, mir das Gesicht abzuwischen. Amadeus zwinkerte mit den Augen, ohne die Nase vom Teller zu heben, und ich, ich lachte unter den eindringlichen Blicken meiner Mutter, ich lachte und lachte …
    Danach begaben wir uns in die Familienkapelle. Ein tauber alter Pfarrer hielt die Messe. Ich wurde in den Lettner gesetzt, natürlich mit dem Gefängnistor an meiner Seite. Amadeus und meine Mutter nahmen irgendwo in den vordersten Bänken nebeneinander Platz . Vom Augenblick der Elevation an sah man ihre Erregung. Sie warf meinem Bruder feuchte Blicke zu, und Amadeus wurde immer starrer und bleicher, bis er von einem Zittern durchschüttelt wurde.Sobald die Messe zu Ende war, bekam das Personal bis zum Abend frei. Die Stute erteilte ihre Befehle mit kurzen, nervösen Bewegungen, ihre Stirn war mit rosa Flecken übersät. Nur Amadeus und sie durften noch im Haus bleiben. Vor Scham und Angst wie gelähmt, wartete mein Bruder in seiner Ecke und sah mich flehentlich an. Ich antwortete ihm mit einem abschätzigen Lächeln, wie um zu sagen: »Das hat man davon, wenn man zu oft in den Spiegel schaut.«
    Der Hausangestellte brachte mich zurück in meine Hütte. Ich wusste genau, was jetzt im Musikzimmer passierte. Ich setzte mich ans Fenster, wo ich ruhig las und wartete. Unweigerlich sah ich nach höchstens einer halben Stunde, wie die Stute aus dem Haus rannte und sich der Marienstatue zu Füßen warf. Winters wie sommers, im Dreck wie im Schnee, jeden ersten Sonntag im Monat kniete sie dort und betete inbrünstig, wobei sie sich auf Bauch und Brust schlug, während ich, das Ungeheuer, sie von meinem Beobachtungsposten aus lauthals wiehernd verspottete .
    Ja, ich war wirklich ein Tier geworden, ein wildes Tier, das nicht mehr sprechen konnte. Einmal nutzte ich den Mittagsschlaf meines Hausangestellten, kletterte im Garten auf einen Baum und warf mich vor ein Mädchen, das gerade aus dem Unterricht kam. Ich war genauso verdutzt wie sie. Ich hatte einen Vulkan in mir, der ausbrechen wollte, eine Flut von Worten. Im meinem Kopf schwirrte es – eine Wut und ein Gefühl der Stärke – und raubte mir die Stimme . Dann plötzlich kamen mir die Worte über die Lippen:
    »Auf die Knie! Bete mich an! Bewundere deinen Gott …!«
    Ich wollte ihr gerade die Hand auf die Schulter legen, um das

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