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Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition)

Titel: Die Unbefleckte Empfängnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaétan Soucy
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die Beine aus und fühlte sich jung. Er paffte an seiner Zigarre und zupfte sich am Ohrläppchen wie an einem Ventil. Der Rauch entwich in Ringen seinem Mund: ein Gag, den er im Varieté gesehen hatte. Dann begann er von angenehmen Dingen zu träumen, die er sich in seiner Fantasie ersann – vom Erzbischof, der auf einem Empfang herzlich über seine geistreichen Bemerkungen lacht; vom Finanzminister, der ihn im Restaurant erkennt und an seinen Tisch bittet; vom Herrn Bürgermeister, der ihm den Stadtorden verleiht, weil er Waisenkinder aus einem brennenden Haus gerettet hat … –, als es plötzlich an der Eingangstüre läutete. Verärgert runzelte Judith die Stirn.
    Seine Frau öffnete die Tür. Er hörte einen überraschten Aufschrei, dann Lachen, laute Stimmen, fröhlich durcheinander. Wer mochte das sein? Seine Frau kam ins Wohnzimmer. Leichenblass, mit aufgeblähten Nasenlöchern stand sie da, am ganzen Leibe zitternd, wie er sie nur im Bett kannte kurz vor der höchsten Lust.
    »Was ist denn, Simone?«
    Sie konnte nicht sprechen. Schlaff hob sie den Arm und wies in den Flur. Die Besucher kamen mit einem Lächeln auf den Lippen herein.
    »Entschuldigt den unangekündigten Besuch, nach so vielen Jahren, aber da wir gerade in der Gegend waren … Lieber Onkel, ich glaube, ihr kennt meinen Mann noch gar nicht, Alphonse Tétreault. Und hier der kleine Giftzwerg, das ist meine Tochter Sarah. Komm, Sarah, sei lieb. Hast du deine Zunge verschluckt? Sag meinem Onkel und meiner Tante Guten Tag …!«
    Das kleine Mädchen, das Judith und seine Frau noch nie zuvor gesehen hatten, verbarg sich hinter dem Rock ihrer Mutter. Sie piepste ein schüchternes »Guten Tag«.
    Madame Judith war immer noch wie vor den Kopf gestoßen. Dann sagte sie mit tonloser Stimme:
    »Aber die Briefe, Julie … das Telegramm …«
    »Die Briefe, Tante? Welche Briefe?«
    »Aber Julie, wie kann das …?«
    Simone hörte hinter sich ein dumpfes Geräusch.
    Onkel Judith war in Ohnmacht gefallen.

I n der Dunkelheit und der Kälte, der Feuchtigkeit, dem Stampfen zog der Wind durch die Ritzen der Wände und pfiff wie ein weinselig schnarchender Kerkermeister. Wenn es allzu ruppig ruckte, purzelten die Filzballen aus den Regalen und plumpsten ihnen in einem Staubregen auf die Köpfe. Schonungslos, und unbeirrt, und monoton, und ungedämpft, das Greinen der Räder auf den Gleisen. Sie wurden gewiegt vom langsamen Schwanken des Wagens, und alle fünf Sekunden, bei jedem Schienenstoß, hob sich ihnen in leichten Wellen der Magen wie zum Brechreiz.
    Nur wenige Halte, und bei jedem Halt die Frage, ob es der richtige sei. Sarahs Hände suchten nach seinen. Sie umklammerten sie, ließen wieder los, verloren sie. Suchten wieder nach ihnen, wie ein Kranker, der das Gedächtnis verloren hat. Und Séraphon im Pelz des Direktors greinte von Zeit zu Zeit wie ein Hund im Traum.
    Wie viele Stunden sie schon fuhren, wussten sie nicht. Dem Stampfen erlegen, spuckte Sarah schließlich die Milch wieder aus, die ihr der Bahnhofsvorsteher zu trinken gegeben hatte. Der säuerliche, weißliche Geruch des Erbrochenen eines Säuglings. Remouald wischte sich die besudelte Hand an der Hose ab. Séraphon schlief. Er verströmte den Duft von sauren Nierchen. Remouald drückte Sarah an sich. Niemand von ihnen wusste, wo er landen würde, was ihn dort erwartete und er dort tun würde. Man hatte sie in die Ferne geschickt: Siestellten keine Fragen. Früher oder später wären sie drei zwangsläufig in eine solche Situation gekommen, dachte Remouald.
    Kreischendes Eisen: Wieder blieb der Zug stehen. Sie warteten wie die Male zuvor. Wünschten sich in ein und derselben Regung, dass sie am Ziel seien und dass es noch ferner, noch tiefer liege, am anderen Ende der Welt. Die Waggontür öffnete sich. Mit einem Windstoß flogen ein paar Flocken feinen Schnees herein, hart wie Sternensalz. Remouald rieb sich die Augen. Höchst behutsam löste er Sarahs Arme von seinem Hals – sie hatte ihn im Schlaf mit dem ganzen Körper umfasst –, dann stieg er todmüde, mit steifen Gliedern aus dem Zug.
    Eine klare Nacht erwartete ihn, kunstvoll auf fürstliche Gewänder gestickt, in verschwenderischer Pracht. Remouald nahm sich eine Weile Zeit, um den Schock zu verkraften. Ganz aufgebläht und blaugrün funkelnd: der Bauch einer Fliege, kurz bevor sie ihre Eier legt. Er dachte an den Himmel, der in der Kirche auf seinem Lieblingsfenster zu sehen war und den er so schön fand, dass es schmerzte: die

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