Die Unbekannten: Roman (German Edition)
Anbruch des Morgengrauens. Die ehrwürdigen Sterne. Der uralte Mond. Die gealterte Erde, ihre vom Zahn der Zeit angenagte Schönheit bis zum Sonnenaufgang verhüllt …
Dann war die Nacht plötzlich neu, als die rätselhaften weißen Wesen auftauchten. Sie waren nicht zu sehen gewesen, da sie sich direkt unter den Fenstern dicht an das Haus gepresst hatten, doch nun rasten sie von dem Gebäude fort, am Stamm der Birke vorbei und über den Rasen nach Norden. An der Grenze der Sichtbarkeit hielten sie an, schwach umrissene Kreaturen ohne charakteristische Züge, die sich zusammenkauerten, als beratschlagten sie miteinander.
Der Wolfshund keuchte aufgeregt und trommelte mit den Vorderpfoten auf das Fensterbrett. Er wollte draußen in der Nacht sein und ihre Verfolgung aufnehmen.
»Sitz«, sagte Grady, und dann noch einmal: »Sitz.« Eine dritte Wiederholung des Befehls war erforderlich, obwohl der Hund sonst immer bei der ersten Aufforderung hörte.
Aus der Dunkelheit kehrten die Besucher zurück, nicht auf direktem Wege, sondern schräg, nach Osten zur Vorderseite des Hauses gewandt.
Merlin ließ sich auf den Boden fallen, entzog sich den Strahlen der Mondlampe und wurde zu einer körperlosen Erscheinung, einem lärmenden Poltergeist in Hundegestalt, der über die Bodendielen robbte, mit einem ektoplasmischen Schwanz gegen die Möbelstücke und den Türrahmen schlug und das Arbeitszimmer verließ, um einen anderen Schlupfwinkel aufzusuchen.
Da er die Fenster im Rücken hatte, war Grady auf dem Weg durchs Zimmer blind und streckte beide Hände nach der Tür aus. Im Flur ließ er eine Handfläche über eine Wand gleiten, bis er das Wohnzimmer erreichte.
Merlin hatte sich bereits an einem der vorderen Fenster rechts von der Tür platziert und die Pfoten auf die Fensterbank gestemmt.
Als er sich zu dem Fenster links von der Tür vortastete, stieß Grady gegen einen Beistelltisch. Er hörte eine Lampe wackeln, fing sie auf und hielt sie fest.
Als er im ganzen Haus die Vorhänge und Jalousien geöffnet hatte, hatte er sich nicht vorgestellt, ständig überall umherzulaufen, um Besucher zu verfolgen, die es umkreisten. Er wollte lediglich sofortigen Zugang zu jedem Fenster haben, das einen Blick auf einen Bereich freigab, von dem Geräusche kommen konnten oder von dem aus jemand versuchen mochte, sich Einlass zu verschaffen.
Als er das Fenster erreichte, kam ihm der Verdacht, diese geheimnisvollen Tiere seien so neugierig auf ihn wie er auf sie und sie seien versessen darauf, ihre Neugier zu befriedigen.
Im Osten des Hauses lag hinter der Veranda der Vorgarten, zum Teil mit einem matten Muster aus Mondschatten überzogen, die von den kunstvoll verflochtenen Zweigen der riesigen Birke geworfen wurden.
Die Besucher waren weder im Garten, noch befanden sie sich auf dem Teil der Landstraße – Cracker’s Drive –, der von diesem günstigen Aussichtspunkt zu sehen war.
Es bewegte sich auch nichts anderes durch die Nacht. Keine Rehe, obwohl die häufig zum Grasen auf den Rasen
kamen. Oft pirschten auch Kojoten durch die Mondschneise, scheinbar nur aus Beinen und Flanken und spitzen Schultern bestehend, doch in dieser Nacht waren sie anderswo auf der Jagd.
Als nähmen sie ihr Publikum wahr und passten den optimalen Zeitpunkt ab, um ihren Auftritt so dramatisch wie möglich zu gestalten, sprangen die Geschöpfe wie eines über das Geländer an der Nordseite der Veranda, schienen so schnell wie zwei Lichtimpulse zu überqueren und verschwanden wieder über das Geländer am südlichen Ende.
Die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegten, und die Dunkelheit auf der Veranda verhinderten, dass Grady weitere Einzelheiten an ihrer äußeren Erscheinung wahrnahm, die er nicht schon auf der Wiese aus der Ferne gesehen hatte. Er fand seine Einschätzung ihrer Größe und Wendigkeit bestätigt und glaubte, üppig befiederte Ruten gesehen zu haben, doch ihre Gesichter waren ihm weiterhin verborgen geblieben.
Sie rannten auf allen vieren, obwohl es so schien, als richteten sie sich auf, als sie sich dem südlichen Ende der Veranda näherten. Es entstand der Eindruck, dass sie die letzten Schritte auf den Hinterbeinen zurücklegten, bevor sie über das Geländer sprangen. Sie bewegten sich nicht so, wie er es von irgendeinem vierbeinigen Säugetier in diesen Bergen erwartet hätte, doch er hätte den Unterschied nicht genau benennen können.
Sowie die Geschöpfe aus seinem Gesichtsfeld hinaussprangen, gab Merlin seinen Posten
Weitere Kostenlose Bücher