Die Unbekannten: Roman (German Edition)
wirklichen Welt niemals funktionieren würden. Was Riddle getan hat, sollte in der wirklichen Welt auch nicht funktionieren, aber wir haben ja selbst gesehen, dass es passiert ist.«
»Vielleicht befinden wir uns auch nicht in der wirklichen Welt.«
»Mir kommt sie sowieso von Stunde zu Stunde unwirklicher vor«, stimmte sie ihm zu.
Grady deutete auf den Memorystick aus seiner Kamera, den Cammy auf den Tisch gelegt hatte, und sagte: »Ich habe darüber nachgedacht und bin ganz deiner Meinung, was die Fotos angeht.«
Bevor sie ihre Praxis verlassen hatte, hatte sie die Fotos von dem Memorystick auf ihren Computer in der Klinik geladen und sie dann auf drei CDs kopiert. Zwei davon waren in der Praxis gut versteckt, und die dritte hatte sie unter die Fußmatte im Kofferraum ihres Explorers geschoben.
Falls der Heimatschutz dauerhafte Besitzansprüche auf Puzzle und Riddle erhob und sie mitnahm, würden die Fotos gemeinsam mit Gradys und Cammys Zeugenaussagen über das gesamte Internet versprengt werden. Sie würden eine möglichst durchschlagende Kampagne aufziehen, um die Geschöpfe zu befreien, auch wenn sie damit Strafverfolgung nach dem Geheimhaltungsgesetz zur Staatssicherheit riskierten.
Puzzle und Riddle waren nicht durch Genmanipulation geschaffen worden. Kein Wissenschaftler auf dem Planeten besaß die nötigen Kenntnisse oder die erforderliche Technologie dazu. Sie waren mysteriös, und falls ihr
Ursprung jemals bekannt werden sollte, dann würde kein Klischee wie rekombinante DNA-Technologie oder außerirdische Besucher ans Licht kommen, sondern etwas Unerwartetes. Kein vernünftiger Mensch konnte zu einem für den gesunden Menschenverstand nachvollziehbaren Szenario gelangen, in dem sie eine Bedrohung für einen einzigen Menschen darstellten, von einer Bedrohung für die gesamte Nation ganz zu schweigen.
Wenn Eleanor Fortney und Sidney Shinseki Cammy nicht bei den Bundesbehörden angezeigt hätten und wenn der Heimatschutz nicht so rasch reagiert hätte, hätte sie vielleicht versucht, Puzzle und Riddle in ihr Auto zu packen und einen weiter entfernten Ort zu finden, wo sie die beiden eine Zeit lang unterbringen konnte, wenn es auch noch so verrückt sein mochte, mit zwei Geschöpfen abzuhauen, die eine Kreuzung aus Putten mit Pelz und Zeichentrickfilmfiguren zu sein schienen. Aber die Behörden waren bereits auf dem Weg hierher, sie kannten ihr Fahrzeug, und es stand in ihrer Macht, den gesamten Bundesstaat abzuriegeln. Um erfolgreich die Flucht anzutreten, hätte sie schon am Vorabend aufbrechen müssen.
Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte Grady: »Vielleicht haben wir immer noch Zeit, sie in den Wäldern freizulassen.«
Cammy streichelte Puzzle und sagte: »Sie kämen auf der Stelle zurück. Das weiß ich ganz genau. Sie sind gesellig. Sie verstehen sich mit Menschen. Im Grunde genommen sind wir jetzt ein Rudel. Und wenn sie nicht zurückkämen … Ich bin mir nicht sicher, wie gut es ihnen in der Wildnis erginge.«
»Da habe ich sie gefunden.«
»Aber da waren sie nicht lange. Erinnerst du dich noch – keine Zecken, keine Flöhe und dieser saubere Pelz.«
Merlin gab ein leises, langgezogenes Knurren von sich, wie es Cammy noch nie von ihm gehört hatte.
Sie stand auf und sagte: »Warum muss das passieren?«
Mit angespanntem Körper und aufgestellten Ohren knurrte Merlin noch einmal und blickte zur Decke.
Puzzle und Riddle standen auf allen vieren, bereit für einen schnellen Start. Sie hatten die Köpfe zur Seite gelegt und lauschten.
Nach einem Moment hörte Cammy in der Ferne ein vertrautes, aber noch nicht identifizierbares Geräusch. Dann erkannte sie es: das harte, tiefe Knattern von Hubschraubern.
»Von Osten her, im Gegenlicht aus der Sonne heraus, tief und schnell«, sagte Grady und eilte zur Haustür.
Merlin, Puzzle und Riddle setzten sich im selben Moment in Bewegung, diesmal nicht zum Spielen aufgelegt, sondern in großer Eile.
Als Cammy das Wohnzimmer erreichte, riss Grady bereits die Haustür auf und trat hinaus.
Sie holte ihn auf der Veranda ein. Puzzle und Riddle saßen in ihrer Erdmännchenpose auf den Stufen. Merlin stand im Garten.
Im Osten, wo Cracker’s Drive auf die Fernverkehrsstraße traf, ging ein großer Hubschrauber herunter.
In einer Höhe von weniger als dreißig Metern folgte ein anderer Hubschrauber der Landstraße bergauf. Als er näher kam, erkannte Cammy, dass das Fluggerät noch größer
war, als sie anfangs geglaubt hatte. Es war der
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