Die Unermesslichkeit
gewesen waren, versuchte zu fühlen, was er damals gefühlt hatte, aber es war lange her. Irene stöhnte wieder, rückte von ihm ab, versuchte sich zu räuspern, schlug die Decken weg.
Ich kann nicht schlucken, sagte sie. Ich kann nicht atmen, und jetzt kann ich nicht schlucken. Wie soll ich denn Luft kriegen?
Sie ging ins Bad, und Gary setzte sich auf. Kann ich irgendetwas tun?
Mach, dass es aufhört, sagte sie. Ich kann nicht atmen. Ich kann nicht schlafen. Der Schmerz geht nicht weg. Und jetzt ist mir schwindlig. Das Vicodin. Sie gurgelte, versuchte sich zu räuspern.
Komm wieder ins Bett.
Ich ertrinke, sagte sie. Vielleicht hilft Essen. Und ein bisschen Tee.
Sie zog sich an, und sie gingen in die Küche. Rhoda hatte Essen auf den Tisch gestellt und einen heißen Tee bereitet.
Danke, sagte Irene, und sie küsste Rhoda auf die Stirn. Gary bündelte am Kamin Zeitungen, schichtete kleine Scheite zu einem Tipi auf, einige dickere Scheite und einen Klotz, zündete die Enden an und fächerte Luft zu, bis ein schönes Feuer brannte.
Irene fing an zu weinen. Zuerst versuchte sie, Kartoffelpüree und Bohnen zu essen, aber dann weinte sie nur noch.
Mom, sagte Rhoda.
Irene, sagte Gary, und sie setzten sich zu beiden Seiten und nahmen sie in den Arm.
Es tut so weh, sagte sie. Es hört nicht auf. Aber sie weinte nicht nur über die Schmerzen, das wusste sie. Endlich hatte sie eine Ausrede, offen zu weinen, und jetzt konnte sie nicht mehr aufhören. Der Zustand hatte Umfang und Tiefe, nahm Raum ein, eine Wölbung in ihr, die alles aushöhlte. Dass Gary sie verließ, nach dreißig Jahren an diesem kalten, erbarmungslosen Ort. Sie wusste nicht, wie sie es aufhalten sollte, eine Dynamik, die über Jahre in Schwung gekommen war, wie sie ihm die Augen öffnen sollte.
Als Jim Monique im Hotel untergebracht hatte und nach Hause kam, war Rhoda schon da. An der Spüle, beim Abwaschen.
Hey, sagte sie. Das war ja ein fürstliches Mahl. Wieso kriege ich nie Omelette surprise? Sie lächelte. Versöhnlich. Und sah in Jims Augen ziemlich gut aus. Er küsste sie und zog sie an sich.
Hey, warte. Lass mich erst das Spülmittel von den Händen waschen.
Jim zog Rhoda gleich an der Spüle die Jeans aus.
Ich nehme an, es war ein gutes Gespräch?, fragte Rhoda, aber ihre Stimme wurde tiefer.
Jim kniete vor ihr auf dem Küchenboden.
Egal, murmelte sie.
Hinterher spielten sie am Küchentisch Yahtzee. Rhoda bekam ein Yahtzee mit Einern. Sie triumphierte, er stöhnte. In der nächsten Runde bekam sie noch einen Yahtzee mit Einern, mit nur zwei Würfen.
Mann, sagte Jim. Die Götter spielen mit.
Er bekam Murks, alles außer einer Drei, zielte auf Zweien, bekam noch eine dazu, aber mehr nicht.
Okay, sagte er. Und dann würfelte Rhoda einen dritten Yahtzee, wieder mit Einern.
Aah!, riefen beide. Rhoda biss sich auf die Hände und fing an, auf und ab zu hüpfen. Jim schrie, ernsthaft verstört. Beide standen auf und rannten durchs Zimmer, klopften sich instinktiv ab, zitternd, als klebte das Glück mit seinen kleinen Fledermaushänden noch an ihnen.
I rene spürte jeden Huckel auf der Straße in die Stadt.
Jede Rille und Kante, alle Riffel und Schlaglöcher schlugen rote Bögen in der Welt hinter ihrem rechten Auge. Ein sonniger Tag, ein Sommertag, doch selbst das Licht schmerzte, also waren ihre Augen geschlossen.
Wir sind gleich da, sagte Gary. Halt durch.
Vom Vicodin ist mir schwindelig.
Nur noch ein paar Minuten, sagte Gary.
In der Praxis wurde geröntgt, und Frank betrachtete die Bilder auf einem weißen Leuchtschirm. Hier ist eine Frontalansicht, sagte er, und es war Irenes Schädel, hohle Augen und fleischlose Wangen, Reihen grinsender Zähne, genau wie bei einem Totenkopf. Eine Zukunftsvision ihres eigenen Ablebens.
Unheimlich, sagte sie.
Und hier eine Seitenansicht, sagte er. Und die andere Seite.
Wo ist die Entzündung?, fragte Irene. Wie sieht die aus?
Tja, das ist das Problem, Irene. Da ist nichts.
Was soll das heißen, da ist nichts?
Nach den Röntgenbildern ist da keine eingeschlossene Entzündung.
Aber ich hab doch eine.
Auf jeden Fall hast du eine Erkältung, vielleicht mit einer leichten Entzündung. Wenn du unbedingt willst, kann ich dir für eine Woche Antibiotika verschreiben.
Das verstehe ich nicht.
Auf den Röntgenbildern ist nichts zu sehen.
Irene fing an zu weinen, wiegte sich auf ihrem Stuhl, hielt den Kopf in den Händen.
Irene, sagte Frank und tätschelte ihr linkisch die Schulter.
Ich habe
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