Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
Vom Netzwerk:
wünschte, du könntest schlafen.
    Ich auch.
    Er legte sich neben sie, den Arm über sie.
    Danke, sagte sie, froh, ihn wiederzuhaben. Leichter,die Zeit zu überstehen, wenn sie ihm dabei zuhören konnte, wie er einschlief.
    Irene behielt die Uhr im Auge, während Gary und Rhoda ruhten, und schließlich war es vier. Sie stiegen in den Truck und fuhren zum Termin um halb fünf.
    Romano steckte CT-Bilder an einen weißen Leuchtschirm. Irene konnte ihr Gehirn sehen, zusätzlich zu den Knochen auch das ganze weiche Gewebe. Ganz anders als ein Röntgenbild, alles sichtbar.
    Diese dunklen Stellen hier, zeigte Romano, das ist Ihre Keilbeinhöhle.
    Irene sah, dass sie unter ihrem Gehirn steckte, weit hinter ihrer Nase. Eine Stelle, die der umgebende Knochen vor den Röntgenstrahlen verbirgt.
    Dunkel bedeutet, sie sind leer, sagte Romano.
    Was?
    Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht. Und Ihre Stirnhöhlen sind frei. Das war die andere mögliche Ursache Ihrer Schmerzen hinter dem rechten Auge. Die Oberkieferknochen sind auch frei, wobei ich dort ohnehin nichts vermutet hatte. Da hätten Sie mehr Gesichtsschmerz gehabt.
    Ich verstehe nicht ganz, sagte Irene. Da ist nichts, genau wie auf den Röntgenbildern?
    Stimmt.
    Da muss aber was sein.
    Tut mir leid.
    Aber wo kommen denn dann die fürchterlichen Kopfschmerzen her? Irene spürte, wie sie die Fassung verlor, und Romano legte ihr die Hand auf die Schulter.
    Es tut mir leid, Irene. Nach Ihren Beschreibungen vermute ich, dass Sie tatsächlich eine Nebenhöhlenentzündung hatten, wahrscheinlich Stirnhöhle. Aber die scheint jetzt überstanden, ich weiß auch nicht, warum Sie immer noch Kopfschmerzen haben.
    Es gibt keine andere Erklärung?
    Nicht in meinem Bereich, sagte Romano. Ich bin Neurochirurg. Es könnte sein, dass die Entzündung und der Kopfschmerz, wenn das der Ausgangspunkt war, etwas anderes in Gang gesetzt haben, oder es könnte der Stress von den Kopfschmerzen und dem Schlafmangel sein. Haben Sie in letzter Zeit noch andere Sorgen gehabt, noch irgendeinen Anlass für Stress?
    Hm, sagte Irene. Nur, dass dreißig Jahre Ehe gerade den Bach runtergehen und mein Leben gleich mit.
    Das tut mir leid, sagte Romano, und es war deutlich, dass Irene zu weit gegangen war. Sie redete mit niemandem über ihr Leben, eine Grundregel – eine Art isländischer Kodex.
    Das hätte ich nicht sagen sollen, räumte sie ein. Normalerweise sage ich so was nicht. Ich wollte die Operation. Damit alles weggeht. Der Schmerz ist da. Die Kopfschmerzen hören nicht auf, und sie machen mir Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sie müssen unbedingt aufhören.
    Sie müssen mit dem Codein aufhören, sagte Romano. Sie nehmen es schon lange genug, um süchtig zu werden, und das verursacht neue Probleme.
    Aber ich kann nicht schlafen. Selbst das Codein reicht manchmal nicht aus.
    Sie müssen noch heute damit aufhören. Keine Schmerzmittel, die stärker sind als Aspirin oder Advil. Und ich empfehle Ihnen, einen Psychiater aufzusuchen. Vielleicht bitten Sie ihn um ein Mittel gegen Angstzustände. Das könnte Ihnen beim Schlafen helfen, und mehr Schlaf könnte die Kopfschmerzen beheben.
    Okay, sagte Irene, nickte und dachte, nie im Leben werde sie einen Seelenklempner aufsuchen. Und danke. Entschuldigung.
    Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie haben Schmerzen, und es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.
    Irene wartete an der Rezeption, um die Rechnung zu bezahlen, aber man ließ sie wissen, es seien keine Kosten angefallen. Irene kamen die Tränen, so freundlich. Durch den Schmerz war sie ganz nah am Wasser gebaut, der kleinste Anlass reichte aus. Doch sie tupfte sich die Augen und überlegte auf dem Weg ins Wartezimmer, was sie Gary und Rhoda berichten sollte.
    Sie sahen ihre feuchten Augen. Beide standen sofort auf und nahmen sie in den Arm.
    Es sind nicht die Nebenhöhlen, berichtete sie. Wir wissen immer noch nicht, woran es liegt.
    Jim bekam einen Anruf von Rhoda. Sie kämen heute Abend noch nach Hause, keine Übernachtung in Anchorage. Sie klang müde am Telefon.
    Ich mach uns was zu essen, sagte er. Wonach ist dir denn?
    Irgendwas. Egal. Ich muss auflegen. Tut mir leid.
    Jim fuhr zum Supermarkt. Er musste Rhoda etwas Leckeres kochen. Vielleicht sogar Omelette surprise zum Nachtisch. Überlegte, was sie am liebsten mochte, und stocherte im Nebel. Er hatte keine Ahnung, was sie richtig gerne aß. All die Mahlzeiten, die sie zubereitete, sie waren alle für ihn, seine

Weitere Kostenlose Bücher