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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Fischfabrik erzählt, und sie hat’s kapiert. Sie spricht fünf Sprachen.
    Tut mir leid, sagte Carl.
    Mark ging zu Karen, um sie zu umarmen, und sie widmeten sich einem komischen kleinen Ritual mit Ohrenmassage. Anscheinend waren Mark auf dem Boot die Ohren kalt geworden, und Karens Hände waren außergewöhnlich warm. Zu peinlich, also setzte sich Carlwieder auf die Couch und sah in die andere Richtung. Er hörte Geschlürfe und Gemurmel und bemühte sich, nur auf die Bäume und den See zu blicken, der dazwischen durchschien.
    Carl empfand sich als sehr arm. Er musste hier sitzen, weil er sonst nirgends hin konnte. Wenn man arm war, musste man um Gefallen bitten und rumlungern und warten und mit Leuten zusammen sein, mit denen man nicht zusammen sein wollte. Und war derweil im Wesentlichen unsichtbar. Carl wollte das nicht mehr. Er würde sein Hauptfach wechseln, auch wenn er dafür ein Jahr länger aufs College musste. Und er würde Mark von Jim und Monique erzählen. Das war die einzige Schwachstelle der Reichen. Sie hatten Geheimnisse.
    Mark fand schließlich seinen Weg zur Couch, nach Ohrenmassage und wer weiß was noch. Hombre, sagte er. In der Fabrik gibt es einen Typen, der in acht Sprachen »Wer hat hier gefurzt?« sagen kann.
    Hm, sagte Carl. Er wusste nie, was er zu Mark sagen sollte. Und ihm war nicht klar, wie er von dort überleiten sollte zu der Frage, ob Mark einen Job für ihn habe.
    Er kann es auf Thai.
    Wie war das Fischen?, fragte Carl.
    Mühsam, sagte Mark. Drei-Meter-Wellen. Haben den Fang drastisch reduziert. Unmöglich, Masse zu machen. Wir haben nur knapp fünfhundert Kilo geschafft.
    Klingt nach viel.
    Ist es aber nicht.
    Hättet ihr mehr schaffen können, wenn ihr Hilfe gehabt hättet?
    Mark blinzelte ihn fragend an.
    Okay, sagte Carl. Das war jetzt wohl ziemlich offensichtlich. Ich bin pleite und brauche einen Job. Irgendeine Chance auf dem Boot?
    Mark schlug Carl gönnerisch auf die Schulter. Bedauere, sagte er. Auf ein Boot zu kommen, ist unmöglich. Du musst hier leben und alle kennen und jeden Sommer hier sein. Du brauchst Erfahrung. Die Typen, die raufwollen, stehen Schlange. Und außerdem ist die Saison zu Ende.
    Okay, sagte Carl. Klingt einleuchtend. Aber er war enttäuscht. Keine Chance. Er starrte auf die mageren Bäume, die zum See hin immer zwergenhafter wurden. Sie wurden kürzer und kürzer, je näher sie am Wasser standen. Ein Wald für die kleinen Leute, wie Carl. Ich bin ein Wicht, sagte er zu Mark mit gespieltem irischem Akzent.
    Hey, sagte Mark. Locker bleiben, Mann. Du findest was, bloß nicht auf einem Boot.
    Ich muss sofort was finden, leider. Ich hab keine fünf Dollar mehr. Ich hätte vielleicht früher was anleiern sollen.
    Schon, lachte Mark. Vielleicht. Aber hey, wahrscheinlich kann ich dir einen Job in der Fischfabrik besorgen.
    Ehrlich?
    Ja. Acht Dollar die Stunde, nicht viel, aber du brauchst keine Erfahrung. Du kannst am Waschtisch anfangen, einfach nur Membranen rauszupfen und das letzte Blut abwaschen. Hast du in fünf Minuten drauf.
    Danke, Mark. Das wäre ideal.
    Lass uns mit einem Pfeifchen feiern.
    Carl wollte Nein sagen, wie immer, aber dann dachte er, scheiß drauf. Marihuana würde ihn nicht umbringen. Okay, sagte er.
    So ist’s recht, sagte Mark, und er stopfte ein Pfeifchen und steckte es an, kurzes Paffen. Dann nahm er einen tiefen Zug, hielt die Luft an und reichte Carl die Pfeife.
    Carl mochte weder den Geruch noch den Rauch und bedauerte, sich untreu zu werden. Er hatte noch nie irgendwas probiert, nicht mal eine Zigarette oder ein alkoholisches Getränk. Darauf war er stolz, und damit war es nun vorbei. Aber zum Teufel damit. Er sog den heißen Rauch ein, beißend und beklemmend, und hustete kurzatmig.
    Mark lachte, und auch Karen kam, um mitzulachen.
    Entjungfert, sagte Mark zu ihr. Genau hier, in unserer bescheidenen Hütte.
    Karen nahm einen Zug und entschwebte wieder in die Küche.
    Carl wartete auf ein Gefühl, eine veränderte Wahrnehmung, irgendwas. Er hoffte auf Visionen, schmelzende Wände vielleicht. Aber nichts passierte. Mark reichte ihm die Pfeife, und er zog wieder, hielt die Luft an, wie Mark es ihm geraten hatte, atmete aus und hustete wieder.
    Und?, fragte Mark.
    Ich spüre nichts, sagte Carl.
    Gar nichts?, fragte Mark.
    Gar nichts.
    Nimm noch mal.
    Also probierte Carl erneut, aber eigentlich bekam er davon nur einen leichten Kopfschmerz im Nacken und einen pilzigen Geschmack im Mund, Druck auf der Lunge.
    Noch mal, sagte

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