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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Minuten zu überstehen.
    Gary, rief sie. Sie wollte ihn warnen.
    Ja? Seine Stimme so kleinlich. Wie konnte sie sagen, was sie zu sagen hatte? Dass sie zu weit gingen. Dassetwas verloren gehen würde. Dass sie sich davon nicht erholen würden.
    Schon gut, sagte sie. Machte wieder die Augen zu und ruhte sich aus, die Luft um sie her senkte sich langsam, bis sie den Kies draußen prasseln hörte, jemanden vorfahren hörte. Sie hoffte, dass es Rhoda war, ging aber nicht zur Tür. Sie mochte sich nicht bewegen.
    Mom, rief Rhoda.
    Hier auf der Couch.
    Rhoda an ihrer Seite, eine Umarmung. Warm und lebendig, echte Liebe, nicht die grantelnde Liebe von Gary. Blut von ihrem Blut, die einzig währende Bindung. Eine Ehe konnte sich in nichts auflösen, dies jedoch nicht.
    Ich besorge dir ein Satellitentelefon, sagte Rhoda. Es war unerträglich, nicht zu wissen, ob es euch gutgeht.
    Hey, Ellis, sagte Mark vom Türrahmen aus. Was macht das Siedlerleben? Er machte Licht. Das Wunder der Elektrizität, sagte er.
    Hey Mark, rief Gary aus dem Schlafzimmer.
    Bist du krank, Mom? Mark trat an die Couch.
    Ausruhen.
    Hof halten, sagte Gary, als er an der Küche vorbeikam.
    Ein Verbrechen, nehme ich an.
    Ihr müsst aufhören, euch zu streiten, sagte Rhoda. Ich glaube, ihr kriegt Lagerkoller.
    Ha, sagte Irene.
    Fang bloß nicht damit an, Irene.
    Jedenfalls ist es schön, dass wir vier beisammen sind,sagte Irene und stand auf, benommen. Wie lange ist das her?, fragte sie. Und wann kommt das wieder vor? Es ist vielleicht das letzte Mal, dass wir hier als Familie zusammenfinden.
    Das stimmt nicht, Mom, sagte Rhoda. Ihr seid nicht ewig in dieser Hütte.
    Frag deinen Vater. Aber wir sollten was essen. Ein bisschen Lunch. Wir sollten uns alle an den Tisch setzen.
    Ich muss das Blech holen, sagte Gary. Und die Dachbalken.
    Nach dem Lunch, sagte Irene.
    Ich muss jetzt los. Ich muss das erledigen.
    Irene ging zum Küchenschrank und fand einige Dosen Chili. Gary stand neben ihr an der Anrichte und erstellte eine Liste. Ich mach die hier nur heiß, sagte sie.
    Bitte. Ich habe keine Zeit.
    Komm schon, Dad, sagte Rhoda. Ist doch nur Lunch.
    Wie schwer es einem Mann gemacht wird, seine Arbeit zu tun, sagte Mark.
    Gary ging ins Schlafzimmer und kam mit seiner Jacke wieder raus. Ärgerlich und unduldsam wie immer. Bin in ein paar Stunden zurück, sagte er. Wir können zusammen zu Abend essen. Und dann ging er hinaus, lange Schritte zu seinem Pickup.
    Hm, sagte Mark. Ich hätte meine Hilfe angeboten. Und ich kann nicht zum Abendessen zurück sein. Ich muss das Boot zurückbringen.
    Irene nahm Mark in den Arm, aber ihm warunbehaglich, und er entzog sich rasch. Schon gut, sagte er.
    Entschuldigung, sagte Irene.
    Alles in Ordnung, sagte Mark, aber er strebte zur Tür. Warum flohen die Männer? Sie hätten zusammen mittagessen können. War das zu viel verlangt? Eine Stunde lang eine Familie zu sein?
    Wie geht es Karen?, fragte Irene.
    Marks schiefes Lächeln, beherrscht. Du erkundigst dich nie nach ihr, Mom. Du magst sie nicht.
    Das stimmt nicht.
    Doch, es stimmt.
    Er hat recht, Mom, sagte Rhoda. Du meidest sie.
    Das stimmt nicht. Nichts davon. Ich will nur, dass du glücklich bist, und wenn du mit ihr glücklich bist, dann ist das bestens.
    Aber du magst sie nicht wirklich, sagte Mark. Darum geht es mir. Du hältst sie für blöd.
    Das stimmt nicht. Wie kommst du darauf?
    Egal, sagte Mark. Schon gut. Ich muss los.
    Bleib zum Lunch, sagte Rhoda.
    Ich habe versprochen, das Boot zurückzubringen. Ich muss.
    Du läufst weg, genau wie dein Vater, sagte Irene. Warum könnt ihr nicht bleiben? Es ist doch nur ein Mittagessen. Warum laufen die Männer in der Familie immer weg?
    Ich weiß nicht, sagte Mark. Vielleicht, weil es unerträglich ist? Wenn ich auch nur eine Sekunde länger bleibe, schrei ich. Ich weiß nicht, wieso, aber so ist es.Tut mir leid. Das ist nicht persönlich gemeint. Und schon hatte er die Tür geöffnet, fluchtbereit.
    Nicht persönlich?, fragte Irene.
    Bis dann, sagte Mark und schloss die Tür hinter sich. Irene ging zum Fenster und sah zu, wie er schnell zu seinem Truck und dem Boot ging.
    Da spürte sie Rhoda hinter sich, die ihre Arme um sie legte. Ist schon gut, Mom.
    Irene sah Mark wegfahren. Sie begriff nicht, was gerade vorgefallen war. Ich bin eine schreckliche Mutter, sagte sie schließlich.
    Nein, Mom.
    Ich glaube, das ist mir gerade eben erst klar geworden, sagte Irene.
    Mom, das ist doch nur Mark.
    Aber du hast es doch selbst gesagt.

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