Die Unermesslichkeit
Tag, der sich ewig hinziehen konnte.
Ich fühle mich nicht sicher, sagte Rhoda. Ich gehe jetzt, glaube ich.
Lauf nur weg wie die Männer, sagte Irene.
Das ist unfair, Mom.
Unfair. Das ist lustig.
Das ist das Problem, Mom. Du steckst irgendwo in einem Selbstmitleidsrausch. Und du kämpfst nicht mit fairen Mitteln. Die Schüssel durch die Scheibe zu werfen. Wie soll ich denn darauf reagieren?
Du tust so, als wäre das ein Angriff.
Etwa nicht?
Du solltest jetzt aufhören, Rhoda.
Weißt du, was ich glaube, Mom? Mit dir ist nichts. Dein Mann liebt dich. Deine Familie liebt dich. Mit deinem Kopf ist auch nichts. Du machst dich nur selbst irre. Warum?
Du glaubst mir nicht?
Nein. Ich glaube dir gar nichts.
Da wurde Irene seltsam ruhig. Wie Rhoda vor ihr stand, besorgt, herablassend, völlig verständnislos. Und doch war sie Rhoda von allen auf der Welt am nächsten. Irene trat vor und umarmte sie, hielt sie fest. Das sage ich dir nur einmal, sagte sie leise. Ich bin jetzt allein.
Mom.
Psst. Hör einfach zu. Wenn du nicht aufwachst, wirst du auch so allein sein. Dein Leben vorbei und nichts übrig. Und keiner versteht dich. Und du wirst so wütend sein, dass du nicht bloß eine Schüssel durch die Scheibe werfen willst.
Rhoda wand sich aus der Umarmung. Verdammte Scheiße, Mom.
Mehr habe ich nicht anzubieten. Als die Wahrheit.
Du machst mir Angst, Mom.
Vielleicht kapierst du es langsam.
A lles hatte sich jetzt gegen Gary verschworen. Irene, das Wetter, die Zeit. Sie hatte den Bogen geholt, die olle Trollfrau, um jagen zu gehen. Pfeilspitzen mit breiten scharfen Flügeln, ein Compoundbogen mit Flaschenzug, beängstigende Wucht, und sie wirkte so düster, dass ihr der Gedanke kommen könnte, den Bogen auf ihn zu richten.
Der Wind jetzt kälter, auffrischend. Ein weiteres Tiefdrucksystem, seit dem letzten kaum eine Pause. Gary hatte nach dem frühen Sturm etwas wärmeres Wetter erwartet. Eine Art Altweibersommer. Aber es sah nach einem kurzen Herbst aus. Ein weiterer Tag mit Minustemperaturen.
Keine Seele sonst weit und breit auf diesem riesigen See. Das Boot schwer mit Konserven beladen, bis zum Rand. Ein Lastkahn, der sich langsam seinen Weg ins Weiß bahnte, der Himmel immer tiefer.
Das Einzige, was sie hielt, war eine Senke im Wasser, ihr theoretisches Gewicht, eine Delle in der Oberfläche. Wenn sie eine Ecke eintauchten, würde das Wasser auf der Stelle das Vakuum füllen, und sie würden geradewegs auf den Grund sinken. Gary spürte das Gewicht des schwer beladenen Bootes, seinen Drang zu sinken. Die unbelebte Welt eine böse Absicht, und Gary im Bewusstsein, wie zerbrechlich sein Leben war.Warten, hoffen auf sichere Überfahrt, mehr konnte er nicht tun.
Ich hätte uns etwas weniger vollladen können, rief er Irene zu. Wir sind sehr schwer.
Irene drehte sich einen Moment zu ihm um, in vertrauter Feindseligkeit, und blickte wieder nach vorn.
Eine langsame Überfahrt, so langsam, dass es scheinen wollte, als würde allein Garys Wille sie antreiben, schließlich aber konnte er doch das Ufer ansteuern. Er näherte sich langsam, nahm vorsichtig Kurs, aber sie waren zu schwer. Etwa fünf Meter vor dem Ufer setzten sie auf Felsen auf und steckten fest.
Es ist nicht tief, sagte Irene. Ich steig aus.
Schon war sie über den Rand und sank bis zu den Oberschenkeln ein. Ohne Watstiefel. Sie nahm eine Palette Chili, schwer, das wusste er, ging einen Schritt und rutschte aus. Ließ die Konserven fallen, tauchte bis zu den Schultern ein und ruderte mit den Armen. Stand wieder auf, tropfnass, und sagte nichts. Nahm eine neue Palette Konserven vom Boot, trat erneut einen Schritt zurück und schaffte es diesmal an Land. Vollkommen durchnässt und bestimmt eiskalt.
Gary wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm fiel nichts Unverfängliches ein. Er legte den Gang ein und versuchte, etwas näher heranzufahren, aber er steckte fest. Also schaltete er den Motor aus, kletterte über die Säcke und Paletten zum Bug und reichte Irene bei ihrer Rückkehr eine weitere Palette.
Wir fahren zurück, wenn wir ausgeladen haben, sagteer. Damit du ein heißes Bad nehmen und warme Sachen anziehen kannst.
Sie sah alt aus, sehr alt, die Haare unten nass, das Gesicht nass. Sie nahm eine eingeschweißte Palette Dosensuppen und drehte sich wieder um.
Gary schwang die Beine über den Rand und ließ sich ins Wasser hinab, ein Kälteschock. Nahm eine Palette und trat vorsichtig auf die glitschigen Steine, schaffte es an Land und knackte
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